Anatomie des Sakkos: Die Schulter.

Die Schulterpartie eines Sakkos zählt zu den zentralen Elementen dieses Kleidungsstückes. Je nach Ausgestaltung bestimmt sie den Gesamteindruck der Jacke —ob militärisch-strukturiert oder italienisch-locker— wie kein anderes Detail. Dieser Eindruck ergibt sich im allgemeinen aus zwei Faktoren, die zusammen die Verarbeitung der Sakkoschulter ausmachen: Polster und Gestaltung der Nahtzugabe.

Sakko mit handgemachtem SchulterpolsterDer Grad der Polsterung einer Sakkoschulter hängt im Konfektionsbereich vor allem von modischen Gesichtspunkten ab. Maßschneider hingegen wählen die Stärke der Schulterauflage nach den anatomischen Gegebenheiten des Kunden. Auch die gewünschte Silhouette der Jacke wird teilweise von der Dicke des Schulterpolsters beeinflusst: Knapp geschnittene, militärisch anmutende Schnitte lassen sich besser mit einer kräftigen, kantigen Schulter kombinieren als weite, unkonstruierte Formen. Schulterpolster in Konfektionsjacken und oft auch in Maßanfertigungen sind Fertigteile, die von spezialisierten Betrieben hergestellt und in der Produktion der Jacke lediglich zugekauft werden. Viele Maßschneider verzichten jedoch auf sie und erstellen für ihre Kunden individuelle Schultereinlagen aus einer oder mehreren Schichten Wattierung. Diese Arbeitsweise ermöglicht ein höheres Maß an Flexibilität im Hinblick auf Unterschiede in Höhe, Fall und Form der Schultern. Viele Maßkunden schwören zudem wegen des besonders angenehmen Tragegefühls auf diese handgemachten Schulterpolster.

Ist die Entscheidung für eine bestimmte Polsterform gefallen, stellt sich die Frage, wie mit der Nahtzugabe am Übergang von der Schulter zum Ärmel, der sogenannten Armkugel, verfahren werden soll. Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten, diese schmale Stoffbahn zu legen: Offen, geschlossen und eingeschoben.

Die geschlossene Schulternaht
Bei dieser Verarbeitungsvariante sind die Endstücke von Schulter und Ärmel im Inneren lose. Durch den Gegendruck der Schulter des Trägers wird der Saum in den Ärmel gedrückt und resultiert in einem leichten, glatten Aufwurf des Ärmelansatzes. Die so entstandene Schulterform wirkt besonders elegant und eignet sich im Grunde für alle Jackenarten vom Sportsakko bis hin zum dinner jacket. Kombiniert mit einem kräftigeren Schulterpolster entsteht eine eher markante Silhouette. Vor der Verbindung mit besonders schmal geschnittenen Sakkoschultern sei an dieser Stelle allerdings gewarnt: Besagter Aufwurf kann hier den Linienverlauf des Ärmels optisch unschön beeinflussen.

Die offene Schulternaht
Diese Variante firmiert unter dem Begriff offen oder auseinandergebügelt und damit ist eigentlich auch schon alles gesagt, was sie ausmacht. Faktisch unterscheidet sie sich von der geschlossenen Naht dadurch, dass die Nahtzugaben von Schulter und Ärmel, ähnlich der Seitennaht einer Hose, auseinandergebügelt werden. Die auseinandergebügelte Schulter eignet sich vor allem für Träger, die ihre Schulterpartie nicht zusätzlich betonen wollen — beispielsweise aufgrund ohnehin breiter natürlicher Schultern, lässt sich aber mit geringer wie großzügiger Schulterauflage schön verbinden. Sie stellt einen gelungenen Kompromiss für all jene dar, die eine natürliche aber keine zu sportliche Silhouette schätzen.

Die eingeschobene Schulternaht
Besonders die mittlerweile auch in der Konfektion angekommene neapolitanische Silhouette trug maßgeblich dazu bei, diese Verarbeitungsvariante außerhalb Italiens und des kleines Kreises der Maßanzugträger bekannt und salonfähig zu machen. Die Nahtzugabe der meist etwas schmaler als üblich geschnittenen Schulter wird nach innen eingeschlagen und der Ärmel ins Armloch eingeschoben, so dass beide Säume zum Träger hin weisen. Damit sie in dieser Position bleiben und sich nicht unerwünscht verdrehen, werden sie mit einer Reihe von Handstichen, die bei genauer Betrachtung auch erkennbar sind, von außen am Oberstoff fixiert. Verbunden mit nur sehr wenig oder sogar keiner Wattierung entsteht so der Eindruck einer vollkommen natürlichen Schulter. Anhänger dieser Schulterform lieben sie wegen ihres angenehm leichten Tragegefühls. Aufgrund der nicht vorhandenen Polster verlangt sie einem Schneider jedoch besonderes Feingefühl ab, da jede Unebenheit des Körpers im Schulterschnitt berücksichtigt werden muss. Sakkos, die dieses Detail aufweisen, sind deshalb eher selten beim Konfektionär zu finden.

Natürlich ist keine dieser Varianten den anderen objektiv überlegen, denn auf der Basis einer guten Passform kann mit jeder Schulterform ein Maximum an Komfort erzielt werden. Die Frage nach Schulterstärke und -form ist also in erster Linie ästhetischer Natur und nur individuell zu beantworten. Ein kompetenter Schneider oder Verkäufer wird im Zweifel zur richtigen Variante raten.

Kategorie: Anatomie des Sakkos, Magazin

Florian S. Küblbeck

Florian S. Küblbeck ist freier Journalist und schreibt vor allem über Mode, Stil und Genuss. Mit seinem Erstwerk "Was Mann trägt: Gut angezogen in zwölf Schritten" gab er 2013 sein Debüt als Buchautor.

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