German tailoring, as per B. Roetzel

Nun gut, abseits der Interpunktionsschwäche, die mir persönlich als quasi-Analphabet gar nicht aufgefallen ist, hatte ich eigentlich eher auf eine Diskussion des Inhalts abgezielt.

Herr Roetzel schreibt so z. B. (ich hoffe, das direkte Zitat ist mir hier erlaubt): "...Germans start to turn away from Italy’s luxuriously priced made-to-measure labels towards craftsmen in their neighbourhoods. And although some of them have a slightly stuffy appearance they do understand modern fashion better than tailors in other European countries because since the 1920s German tailors tried to compete with ready-to-wear rather by being fashionable than classic. This attitude is very different from the English position that prefers not to change at all and sees fashion as a dreadful modern invention."

Diese beschworene Hinwendung zum "buy local" in der Maßschneiderei erscheint mir zunächst eher Wunsch als Wirklichkeit zu sein. Ich muß zugeben, selbst, abgesehen von Änderungen, überhaupt erst ein- oder zweimal einen Deutschen Schneider in Anspruch genommen zu haben, und mir scheint, daß auch in der hiesigen Forumsgemeinde mit wenigen Ausnahmen eher die Tendenz besteht, Britische oder Italienische Schneider zu beauftragen, wenn Maßschneiderei gewünscht wird. Eine Frage unterschiedlicher Zielgruppen (iGentry = GB, I; traditionelle Deutsche Maßklientel = Deutschland)? Verpaßt die ja von Herrn Roetzel so schön als "slightly stuffy" beschriebene Deutschen Maßschneiderzunft erneut eine Chance, indem Sie sich nicht, wie von Italienern (cf Rubinacci, Sciamat) oder Briten (cf Thomas Mahon) vorexerziert, die internationale "Connectivity" der iGentry zunutze macht?

dE
 
Nun gut, abseits der Interpunktionsschwäche, die mir persönlich als quasi-Analphabet gar nicht aufgefallen ist, hatte ich eigentlich eher auf eine Diskussion des Inhalts abgezielt.

Herr Roetzel schreibt so z. B. (ich hoffe, das direkte Zitat ist mir hier erlaubt): "...Germans start to turn away from Italy’s luxuriously priced made-to-measure labels towards craftsmen in their neighbourhoods. And although some of them have a slightly stuffy appearance they do understand modern fashion better than tailors in other European countries because since the 1920s German tailors tried to compete with ready-to-wear rather by being fashionable than classic. This attitude is very different from the English position that prefers not to change at all and sees fashion as a dreadful modern invention."

Sie zeigen genau die Passage auf, an der ich mich persoenlich auch am ehesten gestossen haette. Die deutschen Massschneider sind in meiner persoenlichen Wahrnehmung (die mitnichten die der sonstigen Foristen hier sein muss) nicht nur -wie Herr Roetzel zugibt- "slightly" sondern "especially stuffy". Falls ich, wie ich vermute, in diesem Glauben kein Einzelfall bin, wird sich das Image eines deutschen Massanzugs nur schwer gegen den militaerischen Schneid eines Savile-Row-Gewands oder die elegante Laessigkeit eines italienischen Kleidungsstueck behaupten koennen. Die Granden der Bonner Republik oder alternde Industriekapitaene mit Wohlstandsbauch sind eben auch im Massanzug keine Stilikonen, und eine Galionsfigur als Aushaengeschild der deutschen Schneiderei hat es im Gegensatz zu England (man nehme ein selbst zu waehlendes maennliches Mitglied der englischen Koenigsfamilie) oder Italien (ich glaube nicht, dass hier ein Beispiel benoetigt wird) meiner Auffassung nach in den letzten 100 Jahren nicht gegeben.

Entsprechend kann ich mir nicht vorstellen, dass die deutschen Schneider im Gegensatz zu manchen ihrer europaeischen "Gegenspieler" naeher an der aktuellen Mode sind. Die Aufmerksamkeit einer breiteren Oeffentlichkeit hat in den letzten Jahren jedenfalls kein deutscher Herrenschneider erreicht, auch hier im Gegensatz zu Italien, wo eine grosse Jeunesse Dorée das Banner fuer die italienischen Schneider hochhaelt, oder in England, wo "bespoke newcomer" wie Thomas Mahon, Richard James oder Patrick Grant nicht nur ausreichend das Medieninteresse auf sich ziehen, sondern auch das Image der Massschneiderei erneuern konnten.

So lange sich in der Wahrnehmung der Oeffentlichkeit die deutschen Herrenschneider in den Gefilden der 60er Jahre bewegen (und das sind fuer mich nicht die schicken "Mad Men"-60er, sondern die fetten "Franz-Josef Strauss"-60er), wird der Anspruch eines nicht nur guten, sondern auch attraktiven lokalen Produktes wohl noch Wunsch bleiben und nur fuer Wein und Nahrungsmittel gelten.
 
... das Image eines deutschen Massanzugs nur schwer gegen den militaerischen Schneid eines Savile-Row-Gewands oder die elegante Laessigkeit eines italienischen Kleidungsstueck behaupten koennen.
Das finde ich jetzt aber schon etwas arg polemisierend ausgedrückt.

Die Granden der Bonner Republik oder alternde Industriekapitaene mit Wohlstandsbauch sind eben auch im Massanzug keine Stilikonen, und eine Galionsfigur als Aushaengeschild der deutschen Schneiderei hat es im Gegensatz zu England (man nehme ein selbst zu waehlendes maennliches Mitglied der englischen Koenigsfamilie) oder Italien (ich glaube nicht, dass hier ein Beispiel benoetigt wird) meiner Auffassung nach in den letzten 100 Jahren nicht gegeben.
Doch, die gab es und gibt es. Man sollte nur nicht die Aura oder gar die Figur der Person mit der Passform des Anzugs verwechseln. Die traurige Wahrheit scheint mir vielmehr zu sein, daß viele, die sich mit Maßkleidung wirklich auseinandersetzen, von wenigen Schneidern, egal wo, gerne Anzüge tragen würden, weil einfach in jedem Land (wie in jedem anderen Metier auch) viel Müll produziert wird.
 
Ich kann nicht mit persönlichen Erfahrungen dienen, jedoch: es würde mich nicht wundern, wenn es in der Schneiderei wie bis in die 90er in der Kulinarik eine deutsche Selbstnegation gäbe, verbunden mit einer Sehnsuchtsprojektion Richtung bella Italia (Toskana-Syndrom, die olle Rauke wird als Rucola Kult etc. pp.). Die Besinnung auf lokale Traditionen, welche in dem Fall ironischerweise von den "rückständigsten" erzkonservativ-dörflichen Bevölkerungsgruppen sowie retro-alternativen Ökos gepflegt wurde (Topinambur, Pastinake u.ä.) setzte ja dann schlagartig ein und es begann eine heiter-kosmopolitsche Fusion. Ich vermute das Potenzial schlummert auch in hiesigen Nähnadeln, es fehlt tatsächlich nur die Platform - wobei "neues deutsche Modedesign" ja schon recht erfolgreich im Prenzelbergmilieu ist. Warum nicht als nächstes "German bespoke" ? Würde doch z.B. zu einem grünen Loha-Ministerpräsidenten in Baden-Würtemberg gut passen (nachhaltig, lokal produziert, edel usw.) :D.
 
Das finde ich jetzt aber schon etwas arg polemisierend ausgedrückt.

Ich bedaure zutiefst, dass meine persoenliche Ansicht in dieser Angelegenheit nicht differenzierter ist. Dennoch bin ich der Ueberzeugung, dass in einem Luxussegment wie der Massschneiderei nicht nur das Endprodukt, sondern auch der Prozess von Massnehmen, Anproben und der dazwischen liegenden Wartezeit fuer viele Masskunden Teil des teuer bezahlten Gesamtpakets ist. Die momentan heranwachsende Generation ist mit Stangenware gross geworden und achtet in grossem Stile deutlich mehr auf Labels und Designerprodukte als auf Passform und Verarbeitung zur Untersteichung des eigenen Status. Entsprechend vermute ich, dass bei der Entscheidung fuer einen Massanzug eine gewisse Portion Glamour und Weltlaeufigkeit erwartet wird, den man eben nur selten bei dem sicherlich guten, aber voellig biederen Schneider um die Ecke in Bochum oder Bielefeld erwarten wuerde.

Doch, die gab es und gibt es. Man sollte nur nicht die Aura oder gar die Figur der Person mit der Passform des Anzugs verwechseln. Die traurige Wahrheit scheint mir vielmehr zu sein, daß viele, die sich mit Maßkleidung wirklich auseinandersetzen, von wenigen Schneidern, egal wo, gerne Anzüge tragen würden, weil einfach in jedem Land (wie in jedem anderen Metier auch) viel Müll produziert wird.

Auch auf die Gefahr hin, wieder in die polemisierende Ecke gerueckt zu werden, wuerde ich als Nicht-Soziologe und jemand, der sich nur als Dilettant mit "Masskleidung wirklich auseinandersetzt" vermuten, dass eine auf Ikonen getrimmte Gesellschaft nicht nur auf den Anzug als Produkt, sondern auch auf den Anzugtraeger als Produkt-"Botschafter" achtet. Auch wenn die Anzuege von Helmut Kohl oder Heinz Erhardt perfekt gesessen haben und auch auf hoechstem Niveau verarbeitet gewesen sein moegen, wuerde sich jedoch niemand beim Anblick der beiden Herren animiert fuehlen, sich selbst etwas schneidern zu lassen. Im Gegensatz dazu treiben die Bilder klassischer Savile-Row-Kunden von Cary Grant bis Prinz Charles heute noch Kunden in die Geschaefte, die fuer sich entsprechende Kleidung ordern (der Anzug aus "Der unsichtbare Dritte" oder das Outfit von Sean Connery in "Liebesgruesse aus Moskau" werden angeblich mit grosser Regelmaessigkeit verlangt).

Und was die Qualitaet angeht, bin ich sicher, dass es keine massiven Unterschiede zwischen einem guten Schneider in Deutschland und seinem Pendant in irgend einem anderen europaeischen Land gibt. Aber Qualitaet allein hat nur selten eine Kaufentscheidung bestimmt...
 
Ein deutscher Maßmantel von mir ist dermaßen schneidig, dass italienische Freunde mich spontan mit Heil Hitler begrüßten als ich sie ihn das erste mal an mir sahen.

Der Anzug (bzw. das Sakko) von Sean Connery als James Bond und seinem Gegenspieler Dr.No wurde übrigens von einem deutschen genäht (der bei Sinclair und bei Kilgour gearbeitet hat, als die noch mit French&Stanbury zusammen waren) :).
 
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