Italienische Modelegenden

Der deutsche Mann gilt allgemein als recht schwieriger Kunde, da er meistens wenig Interesse an Mode hat. Dafür ist er aber ziemlich leichtgläubig und somit ein leichtes Opfer für Verkäufer mit Talent zum Fabulieren. Vor allem wenn es um den Stil der Italiener geht, glauben viele Herren alles, was ihnen der Ausstatter ihres Vertrauens erzählt. Zum Beispiel die schöne Geschichte von den küssenden Knöpfen.

Die Rede ist natürlich von den Knöpfen am Ärmelabschluss von Sakko oder Anzug. Sie „küssen“ sich, wenn sie sich leicht berühren. Das geht angeblich auf den neapolitanischen Luxusschneiderei Kiton zurück, bei dem sich die Ärmelknöpfe tatsächlich leicht touchieren. Das Gedrängel am Sakkoärmel wurde mir vom Inhaber eines teuren Herrenmodegeschäfts in Norddeutschland nämlich so erklärt: „In Neapel war die Zahl der Knöpfe ein Statussymbol. Je mehr, desto besser. Um möglichst viele unterbringen zu können, platzierten die Schneider sie so dicht wie möglich nebeneinander. Als Ciro Paone die Anzugmanufaktur Kiton gründete, machte er dieses Detail zu einem seiner Markenzeichen.“ Seit das Label in Deutschland Kult-Status genießt, statten auch mittelmäßige Konfektionäre ihre Anzüge mit den liebeshungrigen Horngebilden aus. Dabei übertreiben sie jedoch derartig, dass die Dinger wie Teller in der Spülmaschine schräg übereinander liegen. Das mag man schön finden oder auch einfach nur albern. Einen Sinn hat es jedenfalls nicht.

Noch bekannter ist die Legende von den grundsätzlich leichten Anzügen italienischer Provenienz. Seit der Schriftsteller Gregor von Rezzori mal in einem Interview gesagt hat, dass italienische Anzüge so leicht seien wie ein Fazzoletto, plappern Italienfans diese Weisheit unermüdlich nach. Fazzoletto heißt Taschentuch, gemeint ist aber nicht das profane Zellulose-Carré aus der Tüchertasche, sondern ein feines Leinentuch. Genauso leicht ist – im übertragenen Sinne – der handgenähte italienische Sommeranzug. Ein Hauch von Stoff, kaum Einlage, halbgefüttert. Insofern stimmt die Legende. Aber wer nun meint, dass man südlich der Alpen das ganze Jahr in so einem Taschentuch herumläuft, täuscht sich. Norditalien ist im Winter so kalt und nass wie Schleswig-Holstein, in einem Fazzoletto holt man da sich den Tod. Deshalb sind in Italien ab Oktober Tweed und Flanell angesagt, auch in Neapel, wo die leichtesten aller Sommeranzüge genäht werden. Massimiliano Attolini erklärt warum: „Bei uns im Süden haben alte Häuser oft keine Heizung, da kann es um die Weihnachtszeit ziemlich ungemütlich werden. Deswegen tragen wir in diesen Monaten gern etwas wärmere Stoffe.“

Legenden machen das Einkaufen schöner, dennoch kann es nicht schaden, sie gelegentlich auf ihren Sinngehalt zu überprüfen. Denn am meisten Spaß macht das Shoppen, wenn alle genau wissen, wovon die Rede ist.

Kategorie: Magazin

Bernhard Roetzel

Bernhard Roetzel schreibt über Herrenmode und verschiedene Stilfragen. Der Bildband "Der Gentleman. Handbuch der klassischen Herrenmode" ist seine bekannteste Publikation, sie liegt in fast 20 Übersetzungen vor.

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