Als ich neulich mit dem Export-Direktor einer englischen Schuhmanufaktur telefonierte, brachte er es auf den Punkt: „Ich trage in den letzten Jahren immer häufiger Raulederschuhe, allein schon deshalb, weil sie nicht glänzen müssen.“ So geht es mir auch. Entspannung beim Putzen hin oder her, mir fehlt manchmal einfach die Zeit für das regelmäßige Putzritual. Vor allem, wenn ich viel auf Reisen bin, abends spät nach Hause komme und am nächsten Tag früh wieder los muss.

Nun könnte man einwenden, dass ich die Zeit dann eben einplanen müsste, schließlich ist alles eine Frage von Prioritäten. Das ist richtig. Es darf dann aber auch erwähnt werden, dass die klassische Garderobe in einer Zeit erfunden wurde, als hinter dem perfekt auftretenden Gentleman ein „Gentleman’s Gentleman“ – also ein Diener – bereit stand, um die Anzüge auszubürsten, aufzubügeln und das Schuhwerk zu reinigen und zu wienern. Diese Person fehlt leider in meinem Haushalt. So greife ich oft zum Raulederschuh, gehe kurz mit der Pflegebürste drüber und bin binnen Sekunden abmarschbereit.

Das heißt übrigens nicht, dass meine Schnürer und Schlupfschuhe aus Glattleder alle ungeputzt und nicht einsatzbereit sind. Im Gegenteil. In den meisten kann man sich spiegeln. Da ich dafür aber doch ein wenig Zeit und Arbeit investieren musste, scheue ich den Einsatz der Glanzstücke und spare sie mir für den Anlass auf, bei dem sie unerlässlich sind. Nur schwarze Schuhe sind nicht durch Pendants aus Velours zu ersetzen, deshalb wird das „black boxcalf“ auch am häufigsten gepflegt. Wie gut haben es da die New Yorker, die ihre Schuhwahl nicht von derlei Erwägungen beeinflussen lassen müssen. Schuhputzer an jeder Ecke – das wäre die wahre Freiheit. Nächste Woche: Maßhemd mit Probe.

Bernhard Roetzel

Bernhard Roetzel ist Stilexperte und Autor des Standardwerks „Der Gentleman. Handbuch der klassischen Herrenmode„. Im Stilmagazin veröffentlicht er wöchentlich eine Kolumne in der er sich Stilfragen und aktuellen Ereignissen widmet. Alle Artikel von Bernhard Roetzel.