Was wir aus Anekdoten lernen können

Die kleine Welt der klassischen Herrenmode ist prall gefüllt mit wohlbekannten Zitaten, Legenden und Anekdoten. Dabei ist es eine Sache, diese amüsanten Geschichten zu kennen, jedoch eine ganz andere, aus ihnen zu lernen. Hier einige der bekanntesten Geschichten aus dem Kosmos des Stils und welche Lehre man daraus für sich selbst ziehen kann:

„Die teuersten Kleidungsstücke sind diejenigen, die man nicht trägt.“

Dieser Satz findet sich in beinahe jedem zweiten Ratgeber, egal ob Buch, Website oder Fernsehsendung, zu gutem Stil und geschmackvoller Garderobe. Und so abgedroschen er auch klingen mag, man kann ihn schlecht unwahr nennen. Wer anfängt, sich mit klassischer, eleganter Herrenmode zu beschäftigen, wird schnell feststellen, dass Qualität ihren Preis hat. Umso sträflicher wäre es, das in die Garderobe investierte Geld auf ewig ein trübes und wenig abwechslungsreiches Dasein im Kleiderschrank seines Besitzers fristen zu lassen, aus Angst, das Kleidungsstück womöglich zu beschädigen oder Tragespuren daran zu hinterlassen. Wer seine hochwertigen Anzüge für zu schade für die meisten Anlässe hält, sollte bedenken, dass auch eine andauernde Lagerung im Kleiderschrank ihre Spuren an ihnen hinterlässt. Zudem wird ein Anzug davon, dass er oft getragen wird, nicht zwangsläufig schlechter. Viele Stoffe brauchen sogar erst einige Tragezeit, ehe sie ihr volles Potential entfalten. Sparfüchse freuen sich nicht zuletzt über die deutlich geringeren Kosten je Trageintervall, die sich durch häufigeres Tragen ergeben. Teuer kann demnach auch das günstigste Schnäppchen sein, wenn es nur lange genug ungetragen bleibt.

James Bond und seine Schlaf-Anzüge

Wie entstand eigentlich der James Bond, den wir alle aus den mittlerweile legendären Filmen kennen? Nicht etwa der Romanheld, den Ian Fleming ersann; die Rede ist vom Leinwand-Bond, erstmals verkörpert durch Sean Connery. Die Antwort darauf könnte lauten: Er ist ein Produkt von Terence Young. Der Regisseur der ersten James Bond-Verfilmungen soll den ursprünglich spröden und ungehobelten Sean Connery erst zu dem gemacht haben, was später von ihm auf der Leinwand zu sehen war und prägte damit unser Bild vom Britischen Superspion wie kein zweiter. Dabei führte er ihn nicht nur in die Welt der Etikette und vornehmen Lebensart ein. Er nahm ihn auch mit zu seinem Schneider in Londons berühmter Savile Row, Anthony Sinclair. Sinclair schuf jenen unauffälligen, aber unvergleichlich eleganten Stil, der Connery zum Schwarm nicht nur zahlreicher Leinwandliebschaften machte. Einer der wichtigsten Ratschläge, die Sean Connery von seinem Mentor und Regisseur erhalten haben soll, um sich in seinem neuen Image wohl zu fühlen, soll gewesen sein, in seinen nagelneuen Maßanzügen einige Nächte zu schlafen, um ein Gefühl für sie zu bekommen. Dieser auf den ersten Blick etwas skurrile Tipp ist in der Tat auch heute noch von einigen traditionsorientierten Maßschneidern zu hören. Wer ihn berücksichtigt oder dies zumindest nicht als Unsinn abtut, hat verstanden, dass Natürlichkeit und Wohlbefinden des Trägers mindestens ebenso entscheidend sind wie ein perfekter Sitz des Kleidungsstückes, um gut auszusehen. Wer sich in seiner Kleidung nicht wohlfühlt, wird sich nicht ge- sondern verkleidet vorkommen, und das sieht man.

Brummels Maxime

„Ein Mann sollte seine Kleidung mit der allergrößten Sorgfalt auswählen und kombinieren und sie dann vollständig vergessen.“ Das etwas frei gefasste Zitat wird derart häufig verwendet, dass viele schon gar nicht mehr wissen, dass es auf einen der berühmtesten Dandies der Geschichte, George Bryan „Beau“ Brummel, zurückgeht. Es lässt sich gut als Essenz aus den vorangegangenen beiden Ratschlägen verstehen. Kleidung sollte gut passen, den Träger in seinem besten Licht präsentieren und harmonisch kombiniert sein. Nicht mehr und nicht weniger. Wer während eines Abends in der Oper ständig den Sitz seines Smokings kontrollieren zu müssen glaubt, wird vermutlich Probleme haben, über seine Kleidung hinaus die nötige Selbstsicherheit auszustrahlen, die für eine positive Erscheinung unerlässlich ist. Ein Anzug ist so gesehen nur der Rahmen, dessen Bild stets sein Träger selbst sein sollte. Er kann hilfreich sein, eine gewisse Präsenz zu unterstreichen, aber sie niemals ersetzen.

Was kann man also aus Anekdoten der Herrenmode lernen? In ihnen steckt in aller Regel mehr Weisheit, als ihre Worthülse auf den ersten Blick preisgibt. Lassen Sie sich darauf ein!

Kategorie: Magazin

Florian S. Küblbeck

Florian S. Küblbeck ist freier Journalist und schreibt vor allem über Mode, Stil und Genuss. Mit seinem Erstwerk "Was Mann trägt: Gut angezogen in zwölf Schritten" gab er 2013 sein Debüt als Buchautor.

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