Wo ist Bernhard Roetzel?

Ich mag ihn missverstanden haben, aber wenn ich es richtig deute, soll das kommende Buch wohl in der Tat so eine Art "Bedienungsanleitung" sein. Jedenfalls war das das Wort, auf welches wir uns verständigt haben nachdem ich gesagt habe, dass "Der Gentleman" für mich jedenfalls keine solche ist. Ich bin ja eher ein Freund der freien Interpretation starrer Regeln.

Nun mag eine solche Bedienungsanleitung für jeden anders gestaltet sein. Der Hinweis auf viele Fotos mit Kombinationsempfehlungen lässt mich allerdings ahnen, dass auch er der Entwicklung, dass sich viele Interessierte eben nicht mehr "im Print", sondern in der nahezu unüberschaubaren Welt der Foren, Blogs und Tumblers bedienen, Tribut zollt.

Ich weiß, dass einige der hier schreibenden Mitglieder im Netz gefundene Bilder, die sie als Inspirationsquelle, zumindest aber als Anregung sehen, speichern; quasi als Gedächtnisstütze. So ähnlich stelle ich mir, jedenfalls teilweise, das neue Buch vor.

Wie gesagt, ich mag hier falsch liegen. Aber auf einen gedruckten Fashionblog könnte ich durchaus verzichten.

Time will tell ...

Klassische Herrenmode ist ja jetzt ein Trend (die Ironien der Post-Postmoderne?) und es besteht vermutlich Nachfrage nach einer web-affinen und basalen Version des "Gentleman" für die Generation I-Pad (Warum Kapuzen an Hemden unvorteilhaft wirken usw.). Was die Kolumne betrifft - wenn ich an meine eigene Ignoranz in früheren Jahren denke, würde es mich nicht wundern, wenn einige Leser derselben nicht schon mit dem Begriff "rahmengenäht" überfordert wären ("meint der diese coolen japanischen Nudeln?"). Künftige Versionen von Stilguides werden vermutlich mit dem Binden einer Schleife beginnen - am Schuh. Denn nach Aussage einer befreundeten Grundschullehrerin beherrschen inzwischen immer mehr Kinder das noch mit 8 oder 9 Jahren nicht und bleiben vermutlich lebenslang - buchstäblich - am Klettverschluss kleben. Da hat Herr Roetzel noch jede Menge Arbeit (obwohl, es gibt ja Double Monks und Loafer :D)
 
Ich bezog mich auf das

Zitat von :
Disziplin scheinen viele Menschen eher als nervig zu empfinden. Sie verlangt uns etwas ab, stellt Forderungen. Auf dem Sofa zu liegen und in den Fernseher zu starren ist doch viel bequemer. Die Krawatte wegzulassen auch. Klassische Kleidung hat viel mit Disziplin zu tun.

Die Krawatte nicht wegzulassen, habe ich mit Krawatte als muss interpretiert.... Lieg ich da falsch?
Scheint mir doch eine klare Aussage zu sein?!
Oder ist es eine Art Binelsatz, also mehrspurig auslegbar^^

Dem zitierten Ausschnitt nach sagt Roetzel: "Die Krawatte wegzulassen ist bequemer als Krawatte zu tragen. Bequemlichkeit ist das Gegenteil von Disziplin. Disziplin ist ein Kennzeichen klassischer Kleidung."

Daraus zu machen: "Weil klassische Kleidung stets und überall diszipliniert sein muß und eine Krawatte unabdingbarer Ausdruck von Disziplin ist, muß folglich in jeder Lebenslage Krawatte getragen werden", halte ich für Über-Interpretation.

dE
 
Disziplin im Hinblick auf (klassische Herren-)Kleidung würde ich so verstehen, dass man sich Gedanken macht, was man wie trägt. Und dass alles sauber und gepflegt ist.

Denn diese vier einfachsten Selbstverständlichkeiten scheinen immer noch eine Vielzahl von Menschen vor schier unlösbare Probleme zu stellen.
 
Dem zitierten Ausschnitt nach sagt Roetzel: "Die Krawatte wegzulassen ist bequemer als Krawatte zu tragen. Bequemlichkeit ist das Gegenteil von Disziplin. Disziplin ist ein Kennzeichen klassischer Kleidung."

Daraus zu machen: "Weil klassische Kleidung stets und überall diszipliniert sein muß und eine Krawatte unabdingbarer Ausdruck von Disziplin ist, muß folglich in jeder Lebenslage Krawatte getragen werden", halte ich für Über-Interpretation.

dE

Ich wiederum betrachte den Erwerb und das Tragen luxuriöser und (in meinen Augen) schöner Krawatten als puren Hedonismus. Disziplin kommt ins Spiel, wenn man die Sammlung sorgfältig nach Tweeds, Cashmeres, Woolens, Madder Prints, Tartans, Sports etc. pp. ordnet :D.
 
Ich bezog mich auf das

Zitat von :
Disziplin scheinen viele Menschen eher als nervig zu empfinden. Sie verlangt uns etwas ab, stellt Forderungen. Auf dem Sofa zu liegen und in den Fernseher zu starren ist doch viel bequemer. Die Krawatte wegzulassen auch. Klassische Kleidung hat viel mit Disziplin zu tun.

Die Krawatte nicht wegzulassen, habe ich mit Krawatte als muss interpretiert.... Lieg ich da falsch?
Scheint mir doch eine klare Aussage zu sein?!
Oder ist es eine Art Bibelsatz, also mehrspurig auslegbar^^

Ja, denn dieses IMMER Krawatte tragen müßte als Gegenbeispiel IMMER auf das "Auf dem Sofa zu liegen und in den Fernseher zu starren" treffen. Da ist schon der Trieb, auf die Toilette zu müssen ein Kontrapunkt.:D

So finde ich das IMMER Krawatte tragen tatsächlich überinterpretiert;)

Ich denke, Herr Rötzel meint die Disziplin, sich etwas vernünftiges anzuziehen, ist bei vielen schon nicht mehr vorhanden. Man braucht nur auf die Strasse zu sehen:D
Wobei mich Dein "immer Krawatte tragen" schmunzeln lässt: Der Kaisers Tengelmann Konzern hat die Anweisung ausgegeben, dass jeder männliche Mitarbeiter Krawatte zu tragen hat.
Was da für Stilblüten (ver)blühen, würde ganze Bücher füllen:D:D
Mittlerweile werden dort auch wieder mehr Uniformen getragen, der Konzernleitung sei Dank!
 
Lieber Shop,

bitte nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich Ihnen schon wieder widerspreche - im Gegensatz zu manchem selbst-erklärten "Ignoranten" mit gesundheitlichen Bedenken ob Ihrer Beiträge finde ich diese oft sehr erheiternd und zugleich oft sehr sinnvoll. Leider erscheint mir aber auch Ihr letzter Kommentar zu diesem Thema etwas selbst-referentiell, in zweierlei Hinsicht:

Aber das es ganz klassisch gesehen ein Unding ist mit einem Sportpolohemd in die Stadt zu gehen dürfte klar sein.
Heute ist es normal, und kann stilvoll aussehen!

Das kommt, wie stets, auf die Definition von klassisch an - für manchen Ultra-Konservativen wären auch ein Tweedjackett oder braune Schuhe in der Stadt ein Zeichen für den allgegenwärtigen Sittenverfall, ein anderer erkennt in Polohemd und Chinos die "klassische" Kombination für den Einkaufsbummel. "Klassisch" per se wären auch Tunika und Toga... leider (oder gottseidank) gibt es ja für das Etikett "klassisch" keine DIN.

Ich gehe auch davon aus das heute weniger Krawatte getragen wird weil man Krawatte nicht überall anziehen möchte.
Nicht weil man bequem oder gar faul ist ;)

Daher halte ich generell die Verbindung zwischen Bequem <-> Krawatte für falsch.

Aber warum sollte "man Krawatte nicht überall anziehen möchten"? Meiner Interpretation nach wurde die Krawatte in den letzten Jahrzehnten zunächst aus zwei Motiven abgeschafft: aus politischen Motiven (Rebellion! Nieder mit dem Establishment und seinen Symbolen! ...im übrigen auch heute noch ein Grund z.B. für den regimetreuen Iraner, dem Krawatte als Kennzeichnen des westlichen Imperialismus zu gelten hat) und aus Bequemlichkeit (Befreiung von einengender Kleidung, Tragen von allem was leicht, locker und pflegeunbedürftig ist). Zwischen beiden Motiven hat wahrscheinlich schon immer eine beachtliche Schnittmenge bestanden. Da heute das Tragen einer Krawatte in vielen Lebensbereichen schon eher Ausdruck von Rebellion ist als das Ablegen derselben, zeigt für mich nur, daß sich hier derartige Verhaltensmuster von ihrem ursprünglichen Grund verselbständigt haben und mittlerweile eben mainstream geworden sind. Dennoch ist der obligatorische Griff zum Hals nach Feierabend meines Erachtens bei den meisten weiterhin ein Ausdruck des Bedürfnisses nach mehr Bequemlichkeit.

Daß diese Bequemlichkeit letztendlich nur eine Frage der perfekten Paßform und des idealen Stoffes sei, ist häufig von den Maßkleidungs-Verfechtern zu hören. Mich wird kaum jemand davon überzeugen, daß Anzug, Oberhemd und Krawatte, wie perfekt auch immer alles passen mag, von der physischen Bequemlichkeit her vergleichbar sind mit Polohemd und lockeren Chinos. Das müssen sie aber auch nicht, und genau darin liegt meiner Interpretation nach der wahre Kern der Aussagen Roetzels zum Thema Disziplin: Wo Bequemlichkeit oberster oder einziger Maßstab der Kleiderwahl ist, hat klassische Kleidung keinen Platz mehr. Wer Bequemlichkeit jedoch abwägt gegenüber formeller Korrektheit (klingt ziemlich spießig, nicht wahr?) oder auch ästhetisch-hedonistischen Aspekten, der wird vielleicht eben doch weiterhin Krawatte tragen.

dE
 
Selbstdisziplin ist vielleicht die "preußische" Lesart einer "sich bemühenden" Bekleidungskultur, klassisch humanistisch könntem an auch von "Paideia" oder "Bildung" im erweiterten Sinn sprechen, als "etwas aus sich machen." Kultur als Anstrengung, als Überwindung bzw. Sublimierung von Trieben. Da passt der IMO immer wieder sehenswerte Vortrag von Lord Whimsy "Chimes From A Tin Chrysalis"

http://www.youtube.com/watch?v=xCFPiWZvzf8
 
... Disziplin kommt ins Spiel, wenn man die Sammlung sorgfältig nach Tweeds, Cashmeres, Woolens, Madder Prints, Tartans, Sports etc. pp. ordnet :D.
..und das hast Du uns/mir ja beeindruckend bewiesen - auf meine Frage nach einem Tartanbinder - Disziplin => zielführend

Beste Grüße Joachim
 
...Warum ein Sportplatzhemd es geschafft hat zu einem gepflegten stilvollen Stadtbummel zu taugen,
aber gleichzeitig ein Banker ohne Krawatte unseriös sein soll -
werden Sie mir leider wohl auch nicht erklären können.....

Das kann ich beantworten!:D
Man muß die Kleidung immer Kontext sehen, eine losgelöste Betrachtung, wie ja die Frage eine darstellt, ist nicht zielführend.
So kann ein Trainigsanzug ebenso stilvoll (<-- ich hasse dieses Wort!!!!) sein, wie ein Anzug mit Krawatte, man stelle sich als Umfeld einen Turntrainer in der Sporthalle und einen Banker beim Gespräch über eine Kreditvergabe vor. In beiden Fällen ist die Bekleidung dem Anlass angemessen und wäre umgekehrt deplatziert...
Eine schlabbrige Tainigshose, ungeputze Schuhe und ein schmutziges T-Shirt zum Einkaufen zu tragen ist eben undiszipliniert und a-sozial, zumindest in optischer Hinsicht:D
 
...
2020 ist die Krawatte Vergangenheit.
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Das prophezeist Du ja schon länger, ich vermag es trotzdem nicht zu glauben.
Du bist noch jung, mein Sohn, da können einem 9 Jahre wie eine sehr, sehr lange Zeit vorkommen. :D
Aber glaube mir: Wenn ich neun Jahre zurück blicke, dann hat sich beim Stil nicht allzu viel verändert. Einzig die Krawattenbreite schwankte in der Zeit und hat sich derzeit beim gesunden Mittelmaß eingependelt.
 
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