Anfängerfrage: Qualitätsmerkmale einer Krawatte - Stoffarten, Verarbeitungsarten, etc.

Ich habe mir eine Flanellhose ohne Bundfalten (aber mit Umschlag) aus einem Scabal-Stoff machen lassen. Sehr angenehm, kann man zu allem kombinieren (auch leger mit Pullover) und knittert praktisch nicht. Da der Stoff gerade als Aktionsstoff lief auch preislich sehr moderat.
 
Bei Krawatten geht es m.E. vor allem um die Kenntnis der vielfältigen Designmöglichkeiten und das bewußte Entwickeln der persönlichen Vorlieben. Die Herstellungsqualität ist bei der Produktion der letzten 30 Jahre dagegen vernachlässigbar, denn die ist in 90% der Fälle konstant gut bis sehr gut. Meine eigenen Präferenzen sind v.a. bei der Beschäftigung mit alten Krawatten entstanden, aus diesem Hintergrund hier ein paar Gedanken.

Material
Seide. Dann kommt lange nichts. Dann kommt Wolle, danach mit Abstand Leinen. Beides kann – im passenden Zusammenhang – auch angemessen und stimmig sein. Ferner gibt es (rar) auch Seide-Wolle-Gemisch (irische Popeline) und Wolle-Leinen-Gemisch. Über die Kunstfasern schweigen wir.

Gewebe
Gewebte Ornamentik oder gedruckte – eine der Grundfragen. Gewebte Ornamentik wirkt immer lebhafter, plastisch und interessanter als Aufgedrucktes. Zwischen einem simplen Seidensatin am unteren und den hochraffinierten Grenadine-Geweben am oberen Ende der Skala liegen Welten – und Hunderte zum Teil hochinteressante Variationen. In den 30er bis 50er Jahren gab es (neben den ›normalen‹ Garza-fina- und Garza-grossa-Geweben) vielfältig ausdifferenzierte Variationen dieser Webart, die aber ausgestorben zu sein scheinen.
Gedruckte Designs sind übrigens erst in der Mitte der 60er Jahre aufgekommen, etwa zeitgleich mit dem Übergang zu sehr dünnen Stoffen und dem Wechsel von offener zu gefütterter Konstruktion. Um 1965 gab es einen beispiellosen Qualitätsverfall.

Konstruktion und Dicke
Bei einer klassischen Krawatte (bis ca. 1964) in offener Konstruktion hat die Einlage in etwa die Dicke des Oberstoffes, das Verhältnis der drei Lagen ist typischerweise etwa 1:1:1 oder 2:1:2. Daraus folgt, daß die jeweilige Stoffcharakteristik hauptsächlich die haptische Anmutung bewirkt. Bei jüngeren gefütterten Krawatten ist das Verhältnis (Oberstoff–Einlage–Oberstoff) nicht selten 1:4:1 oder 1:7:1 oder noch krasser. Das sind dann die unseligen Dickwürste, die zu Knotenmonstern führen, die einem wie ein Todesurteil an der Gurgel sitzen. Also: immer auf das Volumenverhältnis von Krawatte/Einlage achten. – Meine Präferenz: leichte Krawatten, die merkt man beim Tragen gar nicht.
Übrigens lohnt es sich m.E. nicht, sich über Fünf-, Sechs- oder Siebenfalter den Kopf zu zerbrechen; das endet meist doch nur in Snobismus. Von den Hochqualitätskrawatten die ich besitze, gehört keine einzige zu dieser Kategorie. Ob eine Krawatte ihrem Träger Ehre einlegt, das hängt sicherlich nicht von diesem Kriterium ab.

Breite
Will man sich diese Wahl nicht von zeitbedingten Tendenzen vorschreiben lassen, empfiehlt sich die eigene Körperproportion als unbestechliches Kriterium: breite Krawatte paßt zum breiten Mann, schmale Krawatte zum schlanken. Meine Faustregel: die Breite der eigenen Hand ohne Daumen = angemessene Maximalbreite für mich. Denn zu breit oder zu schmal kann leicht verboten aussehen.

Ornamentik
Auch wieder eine Wissenschaft für sich. Punkte, Streifen, Karos, Mikromuster, Blüten, Blätter, Medaillons, Kassettenkaros, Paisley, Arabesken, florale Ranken – um nur die wichtigsten Klassiker zu nennen. Es gibt auch vielfältige Kombinationen und Mischungen dieser Motivarten. Kleine Blüten oder Punkte wirken tendenziell nobel und dezent, Medaillons klassisch, Streifen dagegen eher sportlich (vor allem die breiteren). Florale und Paisley-Designs gehen in Richtung Romantik und können, den passenden Rahmen vorausgesetzt, besondere sinnliche Akzente setzen.

Marken
Jetzt wird’s heikel, wir betreten religiöses Terrain.
Hermes und Versace sind meilenhoch überschätzt, besonders erstere werden im Trödelhandel tonnenweise feilgeboten wie sauer Bier. Warum? Diese Marken verkaufen gedruckte Abziehbilder ihrer eigenen brand identity und haben damit erfolgreich einen Massenmarkt hypnotisiert. Sie werden bevorzugt von Leuten, die ihr eigenes Selbstwertgefühl mit geborgter (gekaufter) Bedeutung aufbrezeln möchten: »seht her, ich bin einer der H… trägt!«.
Auf Häuser wie Shibumi oder Marinella wird hier große Stücke gehalten und es sind tatsächlich Qualitätshäuser von großer Reputation und Understatement. Mit diesen Krawatten kann man kaum etwas falsch machen; aber manchem ist das auf Dauer etwas zu wenig. Vom Design her ist es eher übersichtlich, was diese Firmen – außer bewährten Blümchendrucken – anbieten. Im Vergleich dazu sind (ältere) Produktionen etwa von Diva, Dell’Oglio, Inzerillo, Pulcher oder Fumagalli weitaus reizvoller, subtiler und interessanter. Unter den gegenwärtigen Häusern erkenne ich allein Armani als Träger des Wissens um die alte klassische Krawattenkunst, die die ornamentale Wirkung aus der Kennerschaft bei der Gewebekonstruktion entwickelt.
Ein Wort auch zu deutschen Marken. Die heute noch existenten Reste einer einstmals stolzen Industrie haben inzwischen Denkmalwert: Ascot, Hemley, Seidenfalter, Ploenes, Goldband – das war es fast schon. Rotsiegel, Pelo und Pfau gibt es schon lange nicht mehr. Laco ist den Bach runtergegangen, Edsor Kronen ist an die Wand gefahren worden, ein Trauerspiel. Aber es lohnt sich, bei den vorgenannten Häusern vorbeizuschauen. Und es lohnt sich auch – der Ketzer spricht – die Auslagen gewöhnlicher Kaufhäuser durchzuscannen. Auch da findet man mitunter (auf die Marken gepfiffen!) qualitätvolle, interessante Ware. Wenn man weiß, was man will. Denn darauf kommt es an.

Ich entschuldige mich für die Länge dieses Beitrages.
 
Bei Krawatten geht es m.E. vor allem um die Kenntnis der vielfältigen Designmöglichkeiten und das bewußte Entwickeln der persönlichen Vorlieben. Die Herstellungsqualität ist bei der Produktion der letzten 30 Jahre dagegen vernachlässigbar, denn die ist in 90% der Fälle konstant gut bis sehr gut. Meine eigenen Präferenzen sind v.a. bei der Beschäftigung mit alten Krawatten entstanden, aus diesem Hintergrund hier ein paar Gedanken.

Material
Seide. Dann kommt lange nichts. Dann kommt Wolle, danach mit Abstand Leinen. Beides kann – im passenden Zusammenhang – auch angemessen und stimmig sein. Ferner gibt es (rar) auch Seide-Wolle-Gemisch (irische Popeline) und Wolle-Leinen-Gemisch. Über die Kunstfasern schweigen wir.

Gewebe
Gewebte Ornamentik oder gedruckte – eine der Grundfragen. Gewebte Ornamentik wirkt immer lebhafter, plastisch und interessanter als Aufgedrucktes. Zwischen einem simplen Seidensatin am unteren und den hochraffinierten Grenadine-Geweben am oberen Ende der Skala liegen Welten – und Hunderte zum Teil hochinteressante Variationen. In den 30er bis 50er Jahren gab es (neben den ›normalen‹ Garza-fina- und Garza-grossa-Geweben) vielfältig ausdifferenzierte Variationen dieser Webart, die aber ausgestorben zu sein scheinen.
Gedruckte Designs sind übrigens erst in der Mitte der 60er Jahre aufgekommen, etwa zeitgleich mit dem Übergang zu sehr dünnen Stoffen und dem Wechsel von offener zu gefütterter Konstruktion. Um 1965 gab es einen beispiellosen Qualitätsverfall.

Konstruktion und Dicke
Bei einer klassischen Krawatte (bis ca. 1964) in offener Konstruktion hat die Einlage in etwa die Dicke des Oberstoffes, das Verhältnis der drei Lagen ist typischerweise etwa 1:1:1 oder 2:1:2. Daraus folgt, daß die jeweilige Stoffcharakteristik hauptsächlich die haptische Anmutung bewirkt. Bei jüngeren gefütterten Krawatten ist das Verhältnis (Oberstoff–Einlage–Oberstoff) nicht selten 1:4:1 oder 1:7:1 oder noch krasser. Das sind dann die unseligen Dickwürste, die zu Knotenmonstern führen, die einem wie ein Todesurteil an der Gurgel sitzen. Also: immer auf das Volumenverhältnis von Krawatte/Einlage achten. – Meine Präferenz: leichte Krawatten, die merkt man beim Tragen gar nicht.
Übrigens lohnt es sich m.E. nicht, sich über Fünf-, Sechs- oder Siebenfalter den Kopf zu zerbrechen; das endet meist doch nur in Snobismus. Von den Hochqualitätskrawatten die ich besitze, gehört keine einzige zu dieser Kategorie. Ob eine Krawatte ihrem Träger Ehre einlegt, das hängt sicherlich nicht von diesem Kriterium ab.

Breite
Will man sich diese Wahl nicht von zeitbedingten Tendenzen vorschreiben lassen, empfiehlt sich die eigene Körperproportion als unbestechliches Kriterium: breite Krawatte paßt zum breiten Mann, schmale Krawatte zum schlanken. Meine Faustregel: die Breite der eigenen Hand ohne Daumen = angemessene Maximalbreite für mich. Denn zu breit oder zu schmal kann leicht verboten aussehen.

Ornamentik
Auch wieder eine Wissenschaft für sich. Punkte, Streifen, Karos, Mikromuster, Blüten, Blätter, Medaillons, Kassettenkaros, Paisley, Arabesken, florale Ranken – um nur die wichtigsten Klassiker zu nennen. Es gibt auch vielfältige Kombinationen und Mischungen dieser Motivarten. Kleine Blüten oder Punkte wirken tendenziell nobel und dezent, Medaillons klassisch, Streifen dagegen eher sportlich (vor allem die breiteren). Florale und Paisley-Designs gehen in Richtung Romantik und können, den passenden Rahmen vorausgesetzt, besondere sinnliche Akzente setzen.

Marken
Jetzt wird’s heikel, wir betreten religiöses Terrain.
Hermes und Versace sind meilenhoch überschätzt, besonders erstere werden im Trödelhandel tonnenweise feilgeboten wie sauer Bier. Warum? Diese Marken verkaufen gedruckte Abziehbilder ihrer eigenen brand identity und haben damit erfolgreich einen Massenmarkt hypnotisiert. Sie werden bevorzugt von Leuten, die ihr eigenes Selbstwertgefühl mit geborgter (gekaufter) Bedeutung aufbrezeln möchten: »seht her, ich bin einer der H… trägt!«.
Auf Häuser wie Shibumi oder Marinella wird hier große Stücke gehalten und es sind tatsächlich Qualitätshäuser von großer Reputation und Understatement. Mit diesen Krawatten kann man kaum etwas falsch machen; aber manchem ist das auf Dauer etwas zu wenig. Vom Design her ist es eher übersichtlich, was diese Firmen – außer bewährten Blümchendrucken – anbieten. Im Vergleich dazu sind (ältere) Produktionen etwa von Diva, Dell’Oglio, Inzerillo, Pulcher oder Fumagalli weitaus reizvoller, subtiler und interessanter. Unter den gegenwärtigen Häusern erkenne ich allein Armani als Träger des Wissens um die alte klassische Krawattenkunst, die die ornamentale Wirkung aus der Kennerschaft bei der Gewebekonstruktion entwickelt.
Ein Wort auch zu deutschen Marken. Die heute noch existenten Reste einer einstmals stolzen Industrie haben inzwischen Denkmalwert: Ascot, Hemley, Seidenfalter, Ploenes, Goldband – das war es fast schon. Rotsiegel, Pelo und Pfau gibt es schon lange nicht mehr. Laco ist den Bach runtergegangen, Edsor Kronen ist an die Wand gefahren worden, ein Trauerspiel. Aber es lohnt sich, bei den vorgenannten Häusern vorbeizuschauen. Und es lohnt sich auch – der Ketzer spricht – die Auslagen gewöhnlicher Kaufhäuser durchzuscannen. Auch da findet man mitunter (auf die Marken gepfiffen!) qualitätvolle, interessante Ware. Wenn man weiß, was man will. Denn darauf kommt es an.

Ich entschuldige mich für die Länge dieses Beitrages.
Ein höchst informativer Beitrag, daher keinesfalls zu lang.

Eine kleine Anmerkung sei noch hinzugefügt. Auf die nach Gianni Versaces Ermordung im Jahr 1997 entstandenen Kollektionen kann man in der Tat nicht nur bei den Krawatten getrost verzichten. Was von ihm selbst stammt, finde ich größtenteils genial.
 
Vielen Dank für diese Informationen,

Ich habe heute noch Krawatten im Sonderangebit von Ascot bei P&C entdeckt. Die Krawatten waren sehr viel weicher und schmiegsamer als die ansonsten dort üblichen Krawatten. Die Paisley-Muster haben mir gefallen. Zum Dreiteiler würde ich diese anziehen. Nur ist ein Paisley-Muster zum dreiteiligen Geschäftsanzug üblich? In Paris und London, und auch bei Kollegen im Büro, habe ich richtig schöne Designs gesehen.

Im Business-Knigge habe ich mal gelesen, daß eigentlich nur unifarbene, Punktmuster und kleine dezente strukturierte Muster bri Krawatten zum Geschäftszug erlaubt sein. Nur trägt auch kaum noch jemand den Vollanzug mit Krawatte, EST und Lederschuhen bei uns und bei unseren Kunden.

Euch eine schöne Abend und herzliche Grüße

Pascal
 
Eine meiner Lieblingskrawatten ist aus dem Hause Hermes.

Anhang anzeigen 260590

Einen Seidenstoff in höherer Qualität wird man heute kaum finden. Garnfeinheit und Webdichte ergeben einen sehr feinen Stoff. In der Verarbeitungsqualität ist Hermes ohnehin über jeden Zweifel erhaben, der ein oder andere hier Hochgelobte reicht zumindest dahingehend nicht an diese heran.

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Design ist sicherlich Geschmackssache und der eigene Geschmack ist sowieso immer der beste. :)
Geile lässige kippe, auch sonst alles organisch un top

Null vertretersparkassenmist. Lob

Schuhe oxford?
 
Die Paisley-Muster haben mir gefallen. Zum Dreiteiler würde ich diese anziehen. Nur ist ein Paisley-Muster zum dreiteiligen Geschäftsanzug üblich
Da hätte ich keine Bedenken... Nur zu!

Nur trägt auch kaum noch jemand den Vollanzug mit Krawatte
Das ist der allgemeine Trend. Wenn es einem gelingt, sich dagegen zu stemmen - mir zugegebenermaßen nicht - kommt es auf das Krawattendesign auch nicht mehr an. Im übrigen gefällt mir Paisley im Allgemeinen gut.
 
Aus meiner bescheidenen Erfahrung heraus kann man bei Ascot und Edsor Kronen nichts falsch machen, wenn man sie für wenige Euro bei Ebay kauft. Die Motive sind teilweise grenzwertig, teilweise genial, die Qualität ist super und sie werden nicht so hoch gehandelt wie andere, ,,angesagtere´´ Marken.
 
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