Die Garderobe eines Gentleman mit dem Geld eines Bettlers?

Canta

Member
Liebe Freunde der klassischen Herrenmode,

was einem jedem Leser bei der Lektüre „unserer“ Bibel (gemeint ist hier natürlich der Roetzel) sowie beim Schmökern in diversen Modeforen ins Auge springt, ist, dass die Zusammenstellung und der Erwerb einer Gentleman-Garderobe nicht nur Zeit, Akribie, Lust am Stöbern und Enthusiasmus, sondern auch eine erhebliche finanzielle Herausforderung oder gar Belastung mit sich bringen kann.

Gerade während der Studienjahre und zum Einstieg in das Berufsleben, wo die Verwaltung des eigenen Budgets oftmals anderen, meist pressierenderen Prioritäten untergeordnet ist bzw. sein muss, stellt sich die Frage, wie man dennoch zu einem günstigen Preis eine vertretbare Herrengarderobe erstellen kann. Daher möchte ich anregen, an dieser Stelle durchaus einmal ausschließlich günstige Alternativen und Geheimtipps zu diskutieren – durchaus auch mit Bildern (Ich sehe schon den Thread: „Das billigste Outfit der Woche“ vor meinem inneren Auge). Die beiden englischen Hight Street Ausstatter TM Lewin und Charles Thyrwitt werden ja immer wieder genannt, sodass ich hoffe, dass meine Anregung kein Sakrileg ist.

Mir ist durchaus bewusst, dass die günstigeren Alternativen bei Haltbarkeit, Qualität etc. mit den Standards von hochwertigen RTW, MTM oder gar Bespoke nicht mithalten können – wobei es gerade bei teurer RTW doch oft üble Überraschungen geben kann. Aber darum geht es nicht: Die Frage ist einfach, wie ich mir relativ schnell und günstig eine angemessene Garderobe zulegen kann, um auf allen gesellschaftlichen Feldern zu spielen (Smoking für den Studentenball, Anzug für feierliche Anlässe, Blazer für Gartenfeste etc.) und in einem beruflichen Umfeld (etwa bei mehrmonatigen Praktika) auch durch eine Kompetenz in Stil und Geschmack zu glänzen. Wer etwa ein längeres Praktikum macht, braucht 3 bis 4 Anzüge und mindestens 10 Hemden plus Krawatten, Einstecktüchern und evtl. Manschettenknöpfen.

Das einzige, wo ich keinen Kompromiss eingehe, ist Rahmengenähtes Schuhwerk. Zugleich möchte ich betonen, dass man dennoch auch, falls erstmals der Grundstock mit günstigen Alternativen gedeckt ist, nach dem Höherwertigen greifen sollte. Dabei lassen sich die günstigen Hemden, Anzüge, Sakkos und Hosen nach und nach über die Jahre – und dem Einkommen entsprechend – ersetzen.

Ich würde mich freuen, wenn man hier auch einmal die Vorzüge gewisser Hausmarken diskutieren würde (was ja auch zum Teil geschieht) und sogar einmal gewisse Teile von H&M und Zara erwähnt. So gibt es ja gerade bei H&M Cordhosen in verschiedenen Farben für 20 Euro. Natürlich sind diese kaum mit einer Hose von Cordings zu vergleichen, aber für den Preis einer Cordginshose, kann ich 5 H&M Cordhosen kaufen bzw. beim Kauf einer Hose, den Rest in andere Bereiche wiederum investieren und so relativ günstig ein Outfit erstellen. Diese Woche, ich möchte es nicht verhehlen, habe ich mir einen dunkelblauen knielangen Trenchcoat von H&M für 80 Euro gekauft. Er war farblich und schnittechnisch genau das was ich seit Monaten gesucht habe und dabei das günstigste, was auf dem Markt war. Dass das Teil mit meinem langen Burberry nicht mithalten kann ist klar, aber leger zu CHino oder Jeans wird mich der „billige“ Trench durch die letzten Unijahre tragen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da ich den Thread angeregt habe, möchte ich gleich mit gutem Beispiel vorangehen:

Ich selbst bin mit Christian Berg, der Hausmarke von P&C (Düsseldorf) überaus zufrieden. Sowohl einen Blazer als auch ein dunkelblaues Jackett darf ich mein eigen nennen. Dabei hat jedes Teilchen 169 Euro gekostet. Der Passform ist m.E. sehr gut, die Stoffqualität und Verarbeitung, sofern ich das beurteilen kann, in Relation zum Preis hervorragend. Zu den Anzügen kann ich mich leider nicht äußern, aber ich erwäge evtl. einmal einen Anzug zu erwerben. Verschiedene Anzüge von Christian Berg habe ich bereits schon anprobiert und war damit sehr zufrieden. Vielleicht kann ja einer der Kenner einmal sich eine Fachmeinung bilden und etwas dazu schreiben.

Darüber hinaus hat P&C auch eine zwar sehr begrenzte, aber dafür meist ergiebige Auswahl an Einstecktüchern, um zumindest einmal den Grundbedarf zu decken. Preislich im Rahmen von 10 bis 25 Euro in etwa.

Zudem bin ich als junger, schlanker und recht groß gewachsener Kerl mit den Sportsakkos von McNeal (ich hoffe, dass ist keine Eigenmarke von P&C, will nämlich keine Schleichwerbung betreiben, wo ich doch großer Engelhorn Fan in Mannheim bin) super zufrieden. Diese gibt es meist unter 100 Euro zu erwerben. Zudem konnte ich eine feuerrote Chino für 9 Euro ergattern. Besser geht es kaum, und sie lässt sich hervorragend zu dem blauen Blazer und Sakko von Christian Berg wahlweise kombinieren. Der Sitz ist in meinen Augen (will heissen für meine Figur) tausendmal besser als etwa der einer RL Chino. Ich besitze zwar mittlerweil 4 RL Chinos, doch bin ich sehr unzufrieden damit, was die Passform anbelangt, da sie mir viel zu weit sind. An meine MTM Zegna Chino kommt allerdings auch McNeal nicht ran…noch nicht!

Was Hemden und Krawatten anbetrifft, glaube ich kaum, dass es eine bessere und günstigere Alternative zu Thyrwitt und Lewin gibt.

So, das waren einmal kurz meine kleinen Favoriten und Empfehlungen. Auf Euer Feedback freue ich mich schon.
 
Liebes stil-sichere Forum,

nun möchte ich als neuer user auch meinen ersten Beitrag anbringen. Irgendwie liegt gerade dieses Thema als (wenn auch promovierender) Student ja besonders nahe. Ich kann Cantas Ausführungen sehr beipflichten, nur fehlt mir dabei ein Aspekt des günstigen Findens von klassischen und (hoffentlich - das zeigt ja letztlich erst die längere Erfahrung) guten Kleidungsstücken: Second Hand. Auch der oben angeführte Bernhard Roetzel hat darauf (nicht sogar an dieser Stelle) hingewiesen, was für Schätze man dabei auftun kann. Ich denke, ähnliches würde man auch bei anderen Koryphäen finden; schließlich ist die Welt des Stils alles, nur nicht monotheistisch.
Wenn ich mir dann auch noch vor Augen halte, für welche Preise sonst hochpreisige Stücke bspw. bei ebay über den virtuellen Ladentisch gehen, und dabei oft kaum oder manchmal gar nicht gebraucht sind, scheue ich mich manchmal ja schon ein Ladenlokal zu betreten.:rolleyes:

Nun aber im Ernst, wenn man eine gute Vorstellung davon hat was man möchte und zum einen nicht unter Zeitnot in der Anschaffung steht und zum anderen ein wenig - nennen wir es "kreativ" - kompromissbereit ist, dann bieten sich auch für den schmalen Geldbeutel sehr gute Möglichkeiten. Aber Kompromisse muss bei der Stange sowieso immer machen, und von allem anderen bin ich derzeit weit entfernt. Mir schwebt da z.B. ein kürzlich erstandenes Sakko von Strellson für sehr kleines Geld vor, von dem ich sehr angetan bin. Wenn man dazu akzeptiert, dass man die Stücke dann auch zum Änderungschneider tragen muss, kommt man schon recht weit. (Der Gang zum Schneider bleibt mir aber generell selten erspart. ;) Ein lästiges Familienerbstück, diese kurzen Arme.)

Alles hat natürlich seine Schattenseiten. Das damit der Einzelhandel nicht gerade gefördert wird, ist mir klar und (soweit er denn tatsächlich vom Fach ist) tut es mir darum auch ehrlich Leid. Deswegen will ich auch gar nicht behaupten, dass dies eine Lösung für immer ist. Für rahmengenähtes Schuhwerk ist die beschriebene Variante für mich auch jetzt schon keine Lösung. Aber für einen klassischen Anfang hilft es doch sehr.

in diesem Sinne, gespannt auf Repliken,
H

P.S.: jonaspg ist mir da ein wenig zuvor gekommen, aber d'accord.
 
Zuletzt bearbeitet:
Guten Morgen....

Ein Thema, was wohl viele hier haben.

"schließlich ist die Welt des Stils alles, nur nicht monotheistisch."

Manche glauben dies aber wohl...;)

Zu den Schuhen:

Du bekommst auch im Einsteigersegment gute Herrenschuhe, rahmengenäht.
Loakes wäre hier das Stichwort. Hat auch beim "schlitzen" auf NAS eine gute Figur abgegeben.

Second Hand:
Eine gute Alternative. Ich habe einen Anzug als 2nd Hand und viele, viele Krawatten! Wenn die Teile gut in Schuss sind, passsen: Warum nicht?
Aber scheiden sich eh die Geister: Einige finden es für sich abstoßend, andere mögen die Geschichte dahinter. Ich gehöre wohl zu letzterem.

Es bringt aber, finde ich, wenig bis nichts, wenn man sich ein Outfit zusammen stellt (z.B bei H&M). Einzelteile, die sich vielfach kombinieren lassen, sind da doch deutlich besser. Sonst steht man irgendwann vor dem Schrank und hat 1000 Teile und nix anzuziehen. ;)
 
Liebes stil-sichere Forum,
nur fehlt mir dabei ein Aspekt des günstigen Findens von klassischen und (hoffentlich - das zeigt ja letztlich erst die längere Erfahrung) guten Kleidungsstücken: Second Hand.

Das habe ich ja vollkommen vergessen mit aufzuführen. Im Second Hand Bereich kann man wirklich tolle Schnnäppchen schlagen, v.a. meist wenn sich diese Läden in einer etwas besseren Nachbarschaft befinden. In Notting Hill ist mir da schon mancher Savile Row Anzug und Burberry Trench (sogar richtige Uniformmäntel Ihrer Majestät) ins Auge gesprungen. Das ist wirklich fantastisch, und kann, sofern man das will sogar einen ganz eigenen Vintagelool u.U. kreieren (London Vintage). Unbedingt will ich mal Oxfam in Southkensington aufsuchen und nach Schätzen suchen.

Wenn man dazu akzeptiert, dass man die Stücke dann auch zum Änderungschneider tragen muss, kommt man schon recht weit.

An dem Änderungsschneider geht wohl meist kein Weg vorbei, egal wie teuer oder günstig das Stück war. Von der Qualifikation des Schneiders hängt dann auch meist das weitere Schicksal des Kleidungsstücks ab. Ein toller Änderungsschneider ist mir im Moment 1000mal mehr wert als ein schöner Anzug. Zur Zeit erlebe ich da eine kleine Odyssee...Beim Schneider bin ich dann auch bereit wieder tiefer in die Tasche zu greifen, weil (als Handwerkssohn weiss ich wovon ich spreche) gutes Handwerk auch entsprechend bezahlt werden sollte.
 
Es bringt aber, finde ich, wenig bis nichts, wenn man sich ein Outfit zusammen stellt (z.B bei H&M). Einzelteile, die sich vielfach kombinieren lassen, sind da doch deutlich besser. Sonst steht man irgendwann vor dem Schrank und hat 1000 Teile und nix anzuziehen. ;)

Da gebe ich dir Recht, Jerick,
aber so war es keineswegs gemeint. Natürlich sollte auch die günstige H&M Hose mit mehreren Dingen kombibierbar sein. Aber, um beim Beispiel der Cordhose zu bleiben (leider sind sie mir die H&M Dinger etwas zu kurz:mad:), eine Senffarbene Cord passt nun im Herbst wunderbar zu Blazer, Sportsakko oder einfach zu allen möglichen Strickpullovern. Finde da kann man mit zwei Hosen schon recht weit im Herbst kommen, denn sie ist univerell einsetzbar.
 
Interessantes Thema!
Die Themeneröffnung gefällt mir übrigens sehr gut (Schreibstil, Wortwahl, Aufbau)

Meine Vorschläge:
- Rudolf Beaufays in Hamburg (www.rudolf-beaufays.de)
- Ebay-Shop: 1savilerow / secondherzog / vogue-berlin
- Londoner Sale (TM Lewin 19GBP-25GBP)

Es gibt viele Möglichkeiten selbst hochwertige Kleidung zu günstigen Preisen zu erhalten. Von den Ebay-Shops habe ich noch keinen Gebrauch gemacht, könnte mir aber gut vorstellen, dass sich hier das ein odere andere Schnäppchen machen lässt.
 
Lieber Herr Goerner,

Sie haben vollkommen recht, dass in den letzten Jahren der Einzelhandel nicht zu letzt wegen der massiven Ausbreitung der Großhandelskonzerne massiv gelitten hat. Mit der Ausbreitung dieser Ketten sind zwar die Preise für viele Produkte drastisch gesunken, aber in gleichem Masse auch die fachkundige Beratung - sofern überhaupt eine Beratung vorhanden ist. Allerdings muss man auch sagen, dass auch der klassische Einzelhandel oft in der Beratung zu wünschen übrig lässt. Vom Onlineversand brauch ich gar nicht erst anzufangen.

Dennoch wurde ich heute wieder einmal belehrt, wie viel mehr der ein klassischer Einzelhändler zu bieten hat. Auf der Suche nach einem klassischen Black Tie Pump wurde ich in einem Schuhgeschäft, das mein Budget auch noch in den kommenden Jahren sprengen wird, hervorragend beraten und gar ausführlichst in die Geschichte der Entwicklung des Pump eingeweiht. UNd diese Beratung kam mir zu gute, obwohl ich von anfang an erklärte, ich wolle nur einmal den Pump an meinem Fuss betrachten. Als ich am Ende dann noch ein Paar Schnürsenkel erwerben wollte, wurde mir sogar eine ganze handvoll geschenkt. Das war Kundenbindung aller erster Güte! Sollte ich wirklich einen Pump kaufen, dann in keinem anderen Geschäft als dort.

Auch ist natrülich das Kauferlebnis ein ganz anderes, aber es ist eben immer eine Abwägung von Budget und Notwendigkeit. Für einen Cardigan brauche ich meist keine Beratung, für einen Anzug aber dafür umso mehr. Deswegen sollte man sich bei der Zusammenstellung einer breiten und zugleich nachhaltigen Garderobe nicht nur überlegen was man kauft, sondern eben auch wo. Oder anders aüsgedrückt: In welchem Bereich bin ich bereit auf Qualität zugunsten des Preises zu verzichten und in welchem Bereich nicht.

Canta
 
Meiner Meinung nach hat der Einzelhandel ein grosses Problem:

Qualität erkennen heute die wenigsten.

Marken wie Boss und Co sind bekannt, aber im P&C billiger zu bekommen als im kleinen Einzelhandel.

Diverse Marken, die italienische oder englische Marken tragen aber nicht bekannt sind, lassen sich nur schlecht bezüglich Qualität einschätzen. Da man die nicht kennt, ist man mit einem 600Euro Anzug von Boss besser beraten als von einem unbekannten italienischen Hersteller.

Also gehen die Leute - auch ich - lieber zu P&C.
 
Oben