Atomarer GAU in Japan

Guter Artikel, aber immer wenn es bei der Gefährlichkeit von Atomkraft zur Aufzählung von Risiken und den durch Kernkraft umgekommenen Menschen endet, wird oft daneben gehauen. Die Angst ist weniger der Tod, sondern die Unsichtbarkeit der Strahlung und die jahrtausendelange Kontamination. Das kann ich nachvollziehen, denn ohne Angst wird man respektlos und übermütig.
Das wurde leider nicht genug - mMn - beleuchtet. Kleiner Minuspunkt.
 
Guter Artikel, aber immer wenn es bei der Gefährlichkeit von Atomkraft zur Aufzählung von Risiken und den durch Kernkraft umgekommenen Menschen endet, wird oft daneben gehauen. Die Angst ist weniger der Tod, sondern die Unsichtbarkeit der Strahlung und die jahrtausendelange Kontamination. Das kann ich nachvollziehen, denn ohne Angst wird man respektlos und übermütig.
Das wurde leider nicht genug - mMn - beleuchtet. Kleiner Minuspunkt.

Einverstanden.
 
Stimme Cropper ebenfalls zu.
Was meiner Meinung nach nicht bedacht wird sind die Folgeschaeden fuer nachfolgende Generationen, sprich Erbschaeden. Bestes Beispiel dafuer sind Hiroshima und Nagasaki. Ich kann jedem einen Besuch dieser beiden Staedte nur empfehlen (ueber den Unterscheid eine A-Bombe und eines GAUs bin ich mir bewusst, trotzdem).

Ich hoffe sehr, dass die Leute aus Fukushima und Umgebung nicht aehnlich stigmatisiert und diskriminiert werden, wie die Ueberlebenden der beiden Atombomben und deren Nachkommen. Das ist die soziale Komponente, die bei all den wissenschaftlichen Gutachten leider oft nicht mitbedacht wird. Dazu kommt noch der wirtschaftliche Schaden vor allem fuer die Landwirtschaft, von der in den betroffenen Regionen viele Menschen leben (oder gelebt haben). Da koennen irgendwelche Wissenschaftler Zahlen veroeffentlichen so viel sie wollen, die Produkte, seien sie auch noch so minimal belastet, aus der Region werden auf Jahre hin keinen Absatzmarkt finden. Man kann den Verbrauchern Irrationalitaet und unbegruendete Aengste vorwerfen, der Wissenschaft aber ebenso, das sie ihre Augen vor der (menschlichen) Realitaet verschliesst.

Zu dem FAZ Artikel:
Viele sehen den Unfall als Schicksalsschlag. Schließlich stand am Anfang ein Erdbeben, das stärker war als alle vorher gemessenen in Japan und einen Tsunami auslöste, der die Kühlung des Atomkraftwerks Fukushima außer Gefecht setzte.

Genau das wird in Japan mittlerweile von einigen Experten bezweifelt. Beim Bau des AKWs wurde die Gefahr eines Tsunamis nicht ausreichend bedacht. Und das in unmittelbarer Kuestennaehe! Die Ausfaelle aller Notfall-Sicherungssysteme lassen auf technische Maengel schliessen.

So... ich hoffe, das dies mein letzter Beitrag in diesem Thread wird. In dem Sinne, das die Lage endlich unter Kontrolle gebracht wird, wonach es im Moment erfreulicher Weise aussieht, und eine Diskussion zumindest zum Thema GAU in Japan obsolet wird.
 
ohne mich auf einen dialog einzulassen, da ich fachlich nicht bewandert bin.
mein alter herr, promovierter physiker - er wurde damals in fachkreisen international als "tritium-papst" tituliert, meinte kürzlich aufgrund der jüngsten ereignisse:
die atomkraft ist durch den menschen nicht beherrschbar - viel zu komplex die ganze geschichte.

irgendwie hat mir das zu denken gegeben...
 
Japan wurde von einer der schlimmsten Naturkatastrophen JEMALS betroffen, über 10 000 Menschen sind tot, weitere 10000 vermisst, hundert Tausende sind obdachlos, ganze Städte weggespült. GANZE STÄDTE!

Und all das wird von Politikern und Journalisten "vergessen". Nein, es ist ja viel besser, fürs Image, Ruf und Zuschauerzahlen bombastische, unbegründete Sprüche und Theorien über die Situation in Fukushima so laut wie möglich zu schreien. Alle sind auf einmal Experten in Sachen nuklearen Physik. zB der Herr Röttgen. Er war schon vor einer Woche sicher dass die Kernschmelze schon eingetreten ist. Ein Studium der Rechtswissenschaft und die Promotion zum Dr. mit der Arbeit „Die Argumentation des Europäischen Gerichtshofes – Typik, Methodik, Kritik" haben mMn doch relativ wenig mit Physik zu tun.

Ja, super, nur die Wissenschaftler (welche ja doch Nuklearphysik studiert haben..) sagen was anderes. Man kann ja die Entwicklung sehr gut und nachvollziehbar auf der IAEA Seite verfolgen. Kritisch ja, aber nicht so apokalyptisch wie die Medien in Deutschland dies darstellen. Geigerzähler und Iodtabletten sind ja bekanntlich ausverkauft, mehr braucht man nicht sagen.

Und die echte Katastrophe wird vergessen... Ist das nicht pervers und krank???




Was Atomenergie betrifft - auf einmal sind wir alle Grün und anti-Kernspaltungenergie, gelle? Schalten wir ALLE Kernkraftwerke aus. Nun wie Öko wäre die Energieversorgung auf Kohlebasis? Erdgas? Ölprodukte? Ja super, gell. Um die 900g Co2, 700mg SO2 sowie 800mg NOx pro kWh. Öko-pur. Sehr nachhaltig. Als ob die CO2 Klimaschutzmaßnahmen von gestern wieder vergessen wurden.

Windenergie? Nicht schlecht, nur haben wir anscheinend von den vielen Protesten was Hochspannungtrassen und Energiespeicheranlagen betrifft vergessen. Und Windenergie wird ja bekannterweise überwiegend nachts erzeugt. Wenn keiner Energiespeicheranalagen bauen lassen will wird es schwierig. Windräder haben auch einen Einfluss auf den klimatischen bedingungen (luftströmungen..), aber lassen wir erstmal weg.

Photovoltaik? In Deutschland? Ja, sehr effektiv... Nicht umsonst kostet die kWh um die 25-30 cent. Herstellungskosten. Sahara werde nicht schlecht, nun keiner will Geld in Afrika pumpen. Traurig, aber wahr.

Geothermie? Schön, ist ja fast umsonst. Nur wenn man tief genug bohrt (Tiefe Geothermie) scheint den konstanten Energieentzug aus der Krüste nicht gesund zu sein - zahlreiche Projekte wurden wegen deutlich erhöhter Bebenaktivität eingestellt.


Nichts ist umsonst. Aber wir alle werden manipuliert. Keiner versucht ein bisschen nachzudenken. Sind wir, die Menschen, echt so dumm? Eine Frage wleche ich mir immer öfters stelle.

Sorry, ich glaube ich musste es einfach loswerden. Hallo übrigens.



Grüße
Niko


PS. Kernfusion? Jahrzehntelange Forschung, Milliarden reingesteckt. Noch nichts rausgekommen.
 
Lieber Himmel, entweder man ist mündig oder nicht. Es gibtfür jeden, denes interessiert hinreichend Informationen über die vielfältigen Aspekte der Katastrophe. Die Struktur eines Medienhypes hat ja zunächt nicht unmttelbar etwas mit Atomkraft zu tun, sondern eignet sich das Thema eben nach den üblichen Gesetzmäßigkeiten an. Das war beim Hypertsunami 2004 ohne GAU nicht anders. Es wird im Übrigen auch über die Langzeitschäden durch diesen Atomunfall ebenfalls kaum berichtet, weil das nicht ins medial Katastrophenszenario passt. Das Atommüllproblem - potenziell viel ernster als die Gefahr unmittelbare SuperGAUS, gibt ebenfalls keinen Hype her. Dasteht halt Zeug rum und strahlt. Keine geilen Bilder.
Dass dieses Unglück die Austiegsdebatte wieder belebt hat, wenigstens in Deutschland, ist vielleicht das einzig gute daran. Im Übrigen gibt es durchaus tragfähige Konzepte für einen kompleten Ausstieg innerhalb eines Jahrzehnts und Deine Darstellung entspricht in dieser Hinsicht den einseitigen Positionen der Laufzeitverlängerungslobby. Insofern dies zudem Dein erster Post im Stilforum ist, kann man sich also schon fragen, ob Du hier vielleicht als Interessenvertreter fungierst? Wie stehst Du denn so zur Frage Lobb vs. Green? :D
 
Insofern dies zudem Dein erster Post im Stilforum ist, kann man sich also schon fragen, ob Du hier vielleicht als Interessenvertreter fungierst? Wie stehst Du denn so zur Frage Lobb vs. Green? :D


Interessenvertreter? Hehe, schön wärs :p. Ich bin einfach der Meinung, eine _einfache und nachhaltige_ Energieerzeugungskonzept gibt es nicht. Kernkraft muss weg, das war schon immerklar. Ich finde es genau deswegen kommisch, dass man ersmal so eine Katastrophe sehen/erleben musste, um sich Fragen bezüglich Sicherheit zu stellen. Die Vorstandsvorsitzenden von diversen Stromunternehmen sind erst nach dieser Katastrophe auf die Idee gekommen, die Reaktoren _genau_ zu untersuchen. Dass so etwas einfach bescheuert und unverantwortlich ist, da sind wir uns doch einig oder?

Aber so schnell kommt man nicht raus. Und billig wird es nicht, nur keiner sagt was diebezüglich. Und wenn man die Werbeslogans der Parteien liest - "Keine weitere Staatsverschuldung", fragt man sich wie das gehen soll :).


ICH würde Strom in Sahara erzeugen wollen, entweder Photovoltaik oder doch die viel effizientere/aufwändige Solarstirlinggeneratoren - ähnliche gibt es schon in den USA, Wirkungsgrad um die 30-32%. Photovoltaik (monokristallin) hat dagegen um die 15-17%, max 20 im Labor. Strom mittels eine relativ fette Hochspannungleitung nach Europa holen :). Die Russen haben schon lange Leitungen gebaut - Ekibastus-Kökschetau ist ja 1400km lang zur Zeit.

Irgendwie machbar oder? Und sauber schon. Keine Abfälle, keine Brennstoffe. Nebeneffekt wäre eine leichte Erhöhung der Temperaturen in dem Gebiet (nix ist umsonst, weniger Licht werde zurück ins All reflektiert, ist klar). Aber extrem wenig. Falls Solarstirling, wartungsintensiv, dürfte alles aber im Rahmen bleiben. Das einzige Problem, wie ich früher meinte, keiner will so viel Geld in Afrika reinpumpen. War immer ein armer Kontinent, von dem Westen extrem ausgebeutet. Ist aber eine andere Thema!


Bezüglich Lobb und Green, da kann ich keine Meinungen zu geben, kann mir noch keine leisten :). Student :). Habe mir aber letztens ein Paar Trickers gekauft (schnäppchen)!

Schönen Abend noch!
Niko
 
ICH würde Strom in Sahara erzeugen wollen, entweder Photovoltaik oder doch die viel effizientere/aufwändige Solarstirlinggeneratoren - ähnliche gibt es schon in den USA, Wirkungsgrad um die 30-32%. Photovoltaik (monokristallin) hat dagegen um die 15-17%, max 20 im Labor. Strom mittels eine relativ fette Hochspannungleitung nach Europa holen :). Die Russen haben schon lange Leitungen gebaut - Ekibastus-Kökschetau ist ja 1400km lang zur Zeit.

http://www.desertec.org

Super Sache, nur leider noch nicht so schnell einsatzreif und nicht so billig...
 
Ich fand diesen Artikel gestern ziemlich hilfreich. Etwas sachlich und nach meinem Dafürhalten auf dem Boden der Tatsachen im Gegensatz zu der Panikhascherei alle Naselang.
Natürlich nicht der Weisheit letzter Schuß (was ist dieser schon bei solch einem Thema), aber es wurde versucht, etwas Sachlichkeit in die Debatte zu bringen.

Alles eine Frage der Dosis
In Deutschland geht wieder die Strahlenangst um, wie damals nach Tschernobyl. Was aber droht denn heute aus Japan?

Von Jörg Albrecht, Sonja Kastilan und Volker Stollorz

Die Firma Conrad hat unter Bastlern einen guten Ruf. Man kann dort blinkende Ostereier, Kabel, Akkus oder elektronische Bauteile aller Art kaufen. Eine Rubrik bei Conrad heißt: "Das interessiert unsere Kunden aktuell." Und das sind zurzeit vor allem Geigerzähler. Sie kosten zwischen 299 und 499 Euro. Will man einen davon bestellen, schaut man allerdings in die Röhre. Lieferbar sind sie erst wieder Anfang Juni. Die Herstellerfirma Gamma-Scout in Schriesheim kommt mit der Produktion nicht mehr nach.

Schnappen die Deutschen jetzt wieder über? Hat sie die Strahlenhysterie erfasst? In der benachbarten Schweiz sieht es nicht viel anders aus. Dort schiebt man bei der Sicher-Satt AG Nachtschichten und stellt für 280 Franken ein Notfallpaket mit Lebensmitteln her, die einen Monat lang reichen sollen. "Es ist recht abgegangen", sagt der Geschäftsführer Reto Schätti. Wasserfilter und Petroleumlampen sind ebenfalls begehrt. Und Jodtabletten werden knapp.
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"Wieder so ein Blödsinn", sagt Peter Jacob, Leiter des Instituts für Strahlenschutz am Helmholtz-Zentrum München. Es gäbe überhaupt keinen Grund, sich mit Jod einzudecken. Im Zweifelsfall wären die Pillen aus der Apotheke auch viel zu schwach dosiert. Wer sich allerdings jetzt schon hohe Dosen zuführt, um seine Schilddrüse vor drohendem Fallout zu schützen, tut sich auch nichts Gutes. Er riskiert, ein Jod-Basedow-Syndrom zu entwickeln oder wird vielleicht ein Opfer des Wolff-Chaikoff-Effekts. "Beides nicht sehr schön", sagt die Molekularpathologin Geraldine Thomas vom Department of Surgery and Cancer am Imperial College London.
Die unsichtbare Bedrohung

Nach menschlichem Ermessen sei es ausgeschlossen, dass die Reaktorkatastrophe von Fukushima eine radioaktive Gefahr für Deutschland heraufbeschwören könnte, beteuern nun alle Fachleute. Das Problem ist, dass ihnen kaum jemand über den Weg traut. Denn auch die Vorgänge in Fukushima waren nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen worden. Spätestens, wenn die ersten Partikel aus Japan in Europa nachgewiesen werden, wird sich die breite Öffentlichkeit in ihrer Strahlenfurcht bestätigt sehen. Das ist angesichts der Empfindlichkeit der Messmethoden nur eine Frage der Zeit. Was aber heißt es, wenn in Zukunft hier und da ein paar Nanosievert mehr auftauchen?
Zum Thema

* Strahlenbelastung: Fukushima ist noch weit von Tschernobyl entfernt
* Was sagen die Strahlungsmesswerte in Japan über die gesundheitliche Gefährdung aus?

Radioaktivität ist eine unsichtbare Bedrohung, das macht sie intuitiv schwer fassbar. Nur extrem hohe Dosen zeigen akute Wirkung. 100 Sievert beispielsweise führen zu schweren Verbrennungen und dem Versagen des zentralen Nervensystems; der Tod tritt nach Stunden oder wenigen Tagen ein. Bei einer Dosis von 10 Sievert wird der Magen-Darm-Trakt irreparabel geschädigt, nach ein bis zwei Wochen kommt es zum Exitus. Fünf Sievert töten immer noch die Hälfte aller Bestrahlten, selbst wenn sie medizinisch behandelt werden. Bis hinunter zu einer Dosis von drei Sievert wird Knochenmark zerstört, manchmal können dann Transplantationen helfen. Die Opfer einer akuten Verstrahlung, die nicht unmittelbar zum Tode führt, leiden unter Blutungen, Übelkeit und Durchfällen, die Haare fallen aus, und die Infektionsgefahr ist erhöht.

Beim bisher schlimmsten Reaktorunfall, der Katastrophe von Tschernobyl, starben 28 Menschen innerhalb der ersten drei Monate. Sie gehörten zu den 600 Arbeitern, die sich am Tag nach der Explosion auf dem Reaktorgelände befunden hatten. Weitere 106 entwickelten eine akute Strahlenkrankheit und mussten über Jahre hinweg behandelt werden. Die Strahlendosen der unmittelbar Betroffenen reichten von 0,8 bis 16 Gray, hervorgerufen durch die harte Gammastrahlung der glühenden Reaktorschmelze. In den Jahren danach waren mehr als 530 000 Helfer aus allen Teilrepubliken der Sowjetunion an den Aufräumarbeiten beteiligt. Nach einem Bericht des United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) wurden sie dabei ebenfalls belastet, mit unterschiedlich hohen Dosen zwischen 10 und 1000 Millisievert.
„Konservative“ Werte

Welchen Strahlenwerten die "Helden von Fukushima" zurzeit ausgesetzt sind, kann man einstweilen nur ahnen. Nur ein einzelner der mit Dosimetern ausgestatteten Arbeiter soll nach Angaben der japanischen Atomenergiebehörde während seiner Schicht eine Dosis von 106,3 Millisievert abbekommen haben. Das sei verblüffend gering, sagt der deutsche Strahlenschutzexperte Peter Jacob. Der erlaubte Grenzwert in kerntechnischen Anlagen liegt in Japan normalerweise bei 50 und in Deutschland bei 20 Millisievert pro Jahr; die japanische Regierung hat ihn aktuell auf das Fünffache erhöht.

Im Jargon der Atomtechniker gelten solche Werte als "konservativ". Gemeint ist damit: Wir liegen in jedem Fall auf der sicheren Seite. Denn erst 100 Millisievert insgesamt gelten als die Dosis, von der man überhaupt einen nachweisbaren Effekt erwarten würde, bezogen auf die Gesamtbevölkerung. Die Folgen solcher vergleichsweise niedrigen Dosen treten nämlich nicht zwangsläufig ein, sondern sind nur statistisch zu erfassen. "Wenn zum Beispiel 100 Menschen eine Dosis von 100 Millisievert erhalten, würde man statistisch einen zusätzlichen Krebsfall und vielleicht eine schwere Herz-Kreislauf-Erkrankung beobachten", sagt Peter Jacob.

Heißt das nun, dass unterhalb von 100 Millisievert alles in Ordnung ist? Mit dieser Frage begibt man sich auf vermintes Gelände. Über die Auswirkungen radioaktiver Niedrigstrahlen wird seit Jahrzehnten erbittert gestritten. Wie immer, wenn es um epidemiologische Probleme geht, wird die Studienlage sehr schnell unübersichtlich. Grundsätzlich belastet jede Art und Dosis radioaktiver Strahlung biologische Zellen und Gewebe. Betroffen sind nicht nur Organe wie Haut, Lungen, Schilddrüse oder Knochenmark. Sondern auch die Moleküle des Erbguts. Und hier wird es kompliziert. Auch sehr niedrige Dosen ionisierender Strahlen können auf der Ebene der DNA zufällige Treffer erzielen. Allerdings verfügen menschliche Zellen über einen recht wirksamen Abwehrmechanismus. Das ist kein Wunder, denn im Laufe der Evolution haben sie sich mit der natürlichen Hintergrundstrahlung auf dem Planeten Erde arrangieren müssen. Sie beträgt in Deutschland zwischen zwei und fünf Millisievert pro Jahr, kann aber in Extremfällen wie in bestimmten Regionen des Himalaja bis auf zehn Millisievert und mehr steigen. Vor diesem Hintergrund kommt es bei der Zellteilung immer wieder zu radioaktiv ausgelösten Mutationen. Bestimmte Reparaturenzyme sorgen dafür, dass die meisten davon wieder ausradiert werden. Die Frage, um die sich alles in der Diskussion um die "low level radiation" dreht, ist nur, wie hoch die zusätzliche Belastung durch künstlich erzeugte Radionuklide sein darf, bis die Reparaturmechanismen versagen.
Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten

Eine Notreparatur nach einer kurzfristigen Strahlenexposition kann in einer Zelle sogar weitere Mutationen verursachen, die dann an die nächste Zellgeneration weitergegeben werden. Auf komplexen Wegen kann so über längere Zeit Krebs entstehen. Manchmal bilden sich auch subtilere körperliche Schäden aus. Wenn sich eine Mutation zufällig in Spermien oder Eizellen ereignet, kann sie selbst noch nach Generationen für ein erhöhtes Krankheitsrisiko sorgen.

Weil solche "stochastischen" Prozesse nicht zu eindeutigen Kausalbeziehungen zwischen Ursache und Wirkung führen, gilt in der Strahlenbiologie die Faustregel, dass eine Zunahme der Strahlungsdosis nur die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eine biologische Wirkung eintritt, nicht aber die Schwere des Schadens. Eine Folge dieser Betrachtungsweise ist, dass auch im untersten Dosisbereich ein linearer Zusammenhang zwischen Strahlung und Mutationen vermutet wird. Theoretisch gibt es - abgesehen von null - keinen Schwellenwert, unterhalb dessen man von ungefährlicher Strahlung reden könnte.

Da es nach dem Abwurf der ersten Atombombe aber nirgendwo auf der Welt mehr Orte gibt, an denen die zusätzliche Strahlenexposition null wäre, ist man auf Langzeitbeobachtungen angewiesen, die einen möglichen Strahleneffekt in größeren Bevölkerungsgruppen aufspüren können. Berühmtestes Beispiel sind die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki. In Hiroshima töteten die enorme Hitze und der Strahlenblitz der Atombombe auf der Stelle zwischen 150 000 und 200 000 Menschen. Die andere Hälfte der Bevölkerung überlebte. Exakt 86 611 von ihnen wurden seit 1950 in einer sogenannten "Life Span Study" beobachtet. Erfasst wurde dabei auch eine Gruppe besonders stark Verstrahlter, die sich innerhalb einer kreisrunden Zone von 2,5 Kilometern zum Detonationsort aufgehalten hatte. Deren Angehörige wurden mit einer weiteren Gruppe von Menschen verglichen, die zwischen 2,5 und 10 Kilometer entfernt überrascht wurden und die damals nur "vernachlässigbare" Strahlendosen erhalten haben sollen. Insgesamt wurden sieben Dosis-Gruppen gebildet. Danach hatten in Hiroshima 38 509 Überlebende eine Energiedosis von weniger als fünf Millisievert abbekommen, 23 427 weitere zwischen fünf und 50 Millisievert; immerhin 624 wurden mit mehr als zwei Gray verstrahlt. Welche Folgeschäden hatte das?
„Absence of evidence“

Auf der Basis der Erhebungen von Hiroshima lässt sich abschätzen, dass bis zum Jahr 2020 rund 800 der ursprünglich knapp 87000 Überlebenden, also etwa ein Prozent mehr, an Krebs gestorben sein werden, als es in der normalen Bevölkerung zu erwarten gewesen wäre. Die Zahl der zusätzlich an Krebs Erkrankten dürfte, bezogen auf alle Arten von Tumoren, um rund zehn Prozent angestiegen sein. Unter den Atombomben-Überlebenden mit einer effektiven Strahlendosis von weniger als 100 Millisievert scheint sich zumindest die Zahl der Krebstoten nicht erhöht zu haben.

Die "Life Span Study" von Hiroshima hat nur die manifesten Schäden unter die Lupe genommen, die sich medizinisch nachweisen lassen. Einzelne Mutationen im Erbgut ließen sich zu Beginn der Studie noch gar nicht feststellen und können im Nachhinein auch nicht mehr rekonstruiert werden. Nötig wäre dazu eine komplette Erbgut-Entzifferung. Ein fehlender Nachweis schädlicher Wirkung ist allerdings noch kein Beweis, dass solche Schäden fehlen. In der Sprache der Logik wird dieser Einwand als "argumentum ad ignorantiam" bezeichnet. Auf Englisch heißt es: "Absence of evidence is not evidence of absence." Auf Deutsch: Wenn jemand seinen Schlüsselbund verlegt und die gesamte Wohnung danach abgesucht hat, ohne ihn zu finden, heißt das nicht, dass es nicht da wäre. In solchen Fällen ist man auf Vermutungen angewiesen, vornehmer ausgedrückt auf Modelle, die ein Geschehnis beschreiben, das noch nie beobachtet wurde. Zu diesen unerwarteten Fällen zählt nun auch die Reaktorkatastrophe von Fukushima.

Wie sie ausgeht, weiß im Moment noch niemand. Günstigenfalls wie in Harrisburg, wo die Freisetzung radioaktiven Materials sich in engen Grenzen hielt. Schlimmstenfalls wie in Tschernobyl, wo ein erheblicher Teil des Inventars frei wurde (siehe "Menschen, Maschinen . . .", S. 60, 63). Nach Tschernobyl war die Angst groß, dass es zu einem massiven Anstieg von Leukämiefällen kommen könnte. Vor allem unter den fünf Millionen Bewohnern der kontaminierten Gebiete von Weißrussland, der Ukraine und der heutigen Russischen Föderation. "Aber bisher gibt es dafür keine gesicherten Hinweise", sagt Geraldine Thomas, die sich lange mit diesem Thema beschäftigt hat. Eindeutig sei dagegen, dass es deutlich mehr Fälle von Schilddrüsenkrebs gab. "Diese Krebsart ist normalerweise recht selten, deshalb ließ sich die Erkrankung der Strahlung klar zuordnen." Nach dem jüngsten UNSCEAR-Report von 2008 traten bis heute insgesamt rund 6000 Fälle in Erscheinung, 15 Patienten starben.
Die Situation in Fukushima

Vor allem Kinder waren davon betroffen. Sie hatten Milch von Kühen getrunken, die kontaminiertes Futter gefressen hatten. Radioaktives Jod-131 reicherte sich auch deshalb in ihrer Schilddrüse an, weil zum entscheidenden Zeitpunkt keine Jodtabletten verteilt wurden.

Für die Strahlenbelastung der Bevölkerung existieren in diesem Fall, anders als bei den direkt betroffenen Liquidatoren des Unglücks, nur Hochrechnungen und keine direkten Messungen, wie es sie für einige der Liquidatoren genannten Aufräumarbeiter gibt. So wird angenommen, dass die Schilddrüse meist eine durchschnittliche Dosis von 100 Millisievert erhielt, mit fünfmal so hohen Wertenwie in der Evakuierungszone um den Tschernobyl-Reaktor. Die Ganzkörperdosis betrug in den Jahren von 1986 bis 2005 je nach Wohnort vermutlich zwischen 1,3 und 9 Millisievert. 500 Millionen im übrigen von Europa wurden mit zusätzlichen 0,3 Millisievert belastet.

Wie die Situation jetzt rund um die Reaktoranlage von Fukushima ist, lässt sich aus radiologischer Sicht noch nicht sagen. Zwischen den havarierten Blöcken ist in einzelnen Spitzenwerten eine Strahlung von bis zu 400 Millisievert pro Stunde gemessen worden. Das ist eine akute Gefahr für Angestellte und Feuerwehrleute, die mit den Lösch- und Reparaturarbeiten alle Hände voll zu tun haben. Man wird die Mannschaften entsprechend häufig austauschen müssen, will man keine Toten riskieren.

Anders war die Lage am Samstag in der weiteren Umgebung bis nach Tokio. Der Wind hatte gedreht, einmal gemessene Werte von 0,5 und 0,35 Mikrosievert pro Stunde waren wieder verschwunden. "Die Gesamtexposition der Städter wird auf vielleicht ein Millisievert geschätzt", sagt Peter Jacob, "das ist auf jeden Fall weniger, als man bei einem Flug von New York nach Tokio erhalten würde." Bleibt es bei diesen Werten, stehen Strahlenmediziner erneut vor dem Dilemma, die Folgen von kleineren akuten oder chronisch niedrigen Strahlendosen abzuschätzen. Manche Experten kommen auch hier zu astronomisch hohen Zahlen von möglichen Krebsfällen. Es handelt sich dabei allerdings um reine Extrapolationen, die nicht einmal entfernt mit den vorliegenden Beobachtungen nach Hiroshima oder Tschernobyl übereinstimmen.
Die Idee einer Volksdosimetrie

Auch ein anderes Beispiel spricht gegen eine massive Bedrohung der Bevölkerung durch Niedrigstrahlung: In der irdischen Atmosphäre sind nach 1945 insgesamt 543 nukleare Bomben gezündet worden. Allein mit der im Jahr 1963 freigesetzten effektiven Strahlendosis - dem höchsten jemals gemessenen Wert - absorbierte der Körper eines deutschen Durchschnittsbürgers eine Jahresdosis von 113 Mikrosievert. Von vermehrten Missbildungen in der damals geborenen Generation der Babyboomer wurde nichts bekannt.

Gesetzt nun den Fall, auch in Deutschland träte ein GAU ein wie in Fukushima. Dann würde sich auch hierzulande die Frage stellen, welche "Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung bei unfallbedingten Freisetzungen von Radionukliden" ergriffen werden sollen. Die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission sind da eindeutig: Ab zehn Millisievert pro Woche sollte die Bevölkerung zu Hause bleiben und die Fenster abdichten. Ab 30 Millisievert pro Monat würde die betroffene Bevölkerung zeitweilig umgesiedelt. Ab 100 Millisievert pro Jahr müsste wohl eine Sperrzone eingerichtet werden.

Man kann sich unschwer ausmalen, was in Deutschland los wäre, würden solche Maßnahmen auch nur annähernd in Betracht gezogen. Nicht nur Geigerzähler und Dosimeter wären dann restlos ausverkauft. Und das Durcheinander von Messwerten wäre heillos.

Schon einmal, in den siebziger Jahren, wurde unter Atomkraftgegnern diskutiert, was dann noch zu tun bliebe. An der Universität Bremen entwickelten der Atomphysiker und überzeugte Kommunist Jens Scheer und seine Mitstreiter die Idee einer Art "Volksdosimetrie". Im Falle radioaktiven Fallouts hätten die Bürger dann staubgesaugt und die Beutel zur Messung abgeliefert. Außerdem wurden Versuche unternommen, die Dreimasterblume Tradescantia ohiensis in den Dienst des Strahlenschutzes zu stellen. Dieses hübsche Gewächs bringt beständig blaue Blüten hervor, deren Staubfäden sich schon bei weniger als 20 Mikrosievert alarmierend rosa verfärben. Die Grundlage dieser Reaktion hat übrigens Sadao Ichikawa entwickelt, ein Genetiker an der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität von Kyoto. Erschienen ist seine Arbeit 1972 im Japanese Journal of Genetics, im Internet zu finden unter der Kurzadresse http://bit.ly/gLRIjC.


Achja, den Text las ich gestern auf der FAZ-App, zu finden ist er auch auf deren Homepage. Ob er in der heutigen Ausgabe drinsteht weiß ich nicht, habe ich nicht nach geschaut.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da hilft es auch nichts, dass die Technik eigentlich beherschbar wäre:

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,764069,00.html

"Bedingungslos verschrieb sich Japan nach der Ölkrise der Kernkraft. Seitdem hat die Branche das ganze Land korrumpiert, allen voran Fukushima-Betreiber Tepco. Politik, Wissenschaft und Medien sind Mittäter - eine Großtechnologie hat eine Demokratie unterwandert."
 
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